27/8  Löffelchen für Oma

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 15:07

Zahlreich sind oder waren die Tricks, mit denen man uns zum Essen brachte. Dass die Teller komplett leer gegessen wurden, das war selbstverständlich in jenen Kriegs- und Nachkriegsjahren, in denen wir unser Essverhalten lernten. Gewisse Speisen waren ohnehin Mangelware. Brot musste einige Tage gelagert werden, ehe es in den Verkauf kam, damit man nicht zuviel davon ass… gelegentlich zog es dann schon Fäden.

Die Sorge war damals absolut, dass wir als Kinder nicht genug zu essen bekommen könnten. Fehlte uns der Appetit, dann kam als erstes die Moralkeule: Denk an die hungernden Kinder in Afrika, hiess es, die wären noch so froh über das, was wir gerade verschmähten! Und keiner stellte sich die Frage, wie denn der fade Haferbrei innert nützlicher Frist in den Kongo gelangen könnte. Wenn das nichts half, wurden die Portionen der ganzen Verwandtschaft gewidmet: Ein Löffelchen fürs Omi, eines für Tante Idely und noch eines für Onkel Otto… Was die davon haben sollten, war mir nie klar.

Oder die Sache mit dem Flugzeug: Dass da ein Löffel surrend durch die Luft geflogen kam, einen mit Kartoffelstock beladenen Transporter simulierend, im Landeanflug, der in den Hangar rollte, dessen Lippen-Tore sich weit öffnen mussten, um ihn aufzunehmen… alles bloss, damit wir noch eine Portion mehr vertilgten, mehr als unser Appetit uns hätte essen lassen wollen.

Die reine Idee, Lebensmittel wegzuwerfen, war ein Sakrileg. Wer sein Brot nicht ass, beging eine Art Sünde, dem winkte irgendwo ungeahntes Unheil. Das sind Verhaltensmuster, die sich tief einprägten. Und die vielleicht unbewusst heute noch nachwirken. Ich erinnere mich, dass wir bei unseren eigenen Kindern auch die Flugzeuge fliegen liessen…

Wenn heute in der Kleinkindererziehung der Trend dahin geht, dass man die Kleinen dazu anleitet, auf ihre Bedürfnisse zu achten und nicht weiter zu essen, wenn sie genug haben, und die Lebensmittel als Energiequelle für ihren Körper zu betrachten und nicht als Belohnung oder als Strafe (durch Entzug), so ist dies psychologisch der richtige Weg. In der Praxis allerdings ist dieser oft schwer einzuhalten, wie einem Beitrag in Psychology Today zu entnehmen ist, denn in fremder Umgebung, in der Schule oder bei befreundeten Familien, gelten oft noch die „alten“ Regeln und Gewohnheiten. Da braucht es viel Selbstbewusstsein, sich gegen das Löffelchen für die Verwandten durchzusetzen…