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Von Heinrich von Grünigen um 22:38 |
Am Dienstag stand doch diese Meldung in „20minuten“ mit dem diskreten Titel „XXL-Särge für Übergewichtige“. Aus Amerika natürlich. Dort werden – das wussten wir an sich – besonders grosse Särge gefertigt. Eine Firma namens Goliath Casket Company fabriziert Leichenbehältnisse nach Mass. Das Deluxe-Modell soll Raum bieten für Kadaver bis zu 498 (!) Kilo. (Nimmt mich Wunder, wo es klemmt, dass die es nicht bis 500 geschafft haben.)
Eine solche Meldung lädt zum Nachdenken ein. Um Leute, die im hohen Alter gestorben sind, kann es sich wohl nicht handeln, denn diese wären mit der Zeit ja wieder etwas eingelaufen oder ausgemagert. Es muss bei den Toten also um sogenannt „aktive“ Adipöse gehen, die in der offiziell vollen Blüte ihres übergewichtigen Daseins vom Tod dahingerafft wurden, gewissermassen oder vielmehr ganz direkt an den Folgen ihres übermässigen Gewichts gestorben sind. Bei 500 Kilo quasi von sich selber zu Tode gequetscht!
Wie das in etwa aussehen kann, sieht man hin und wieder in medizinischen Büchern. Ein makabrer Scherzbold hat sich zudem den zweifelhaften Spass erlaubt, auf diesen Jahreswechsel hin per Internet einen „Playboy-Kalender“ (mit offiziellem Häschen-Signet) in Umlauf zu bringen, in dem für jeden Monat eine extrem adipöse Frau abgebildet ist, deren entblösste, unförmige Fettgebilde und die zu riesigen Wabbel-Wülsten aufgeworfenen Körperteile das ganze Bild ausfüllen, anzusehen wie früher wohl auf dem Jahrmarkt die legendäre „dicke Berta“, die wir als Kinder nie zu besuchen wagten… – Eine menschenverachtende Entwürdigung durch Zurschaustellung.
Was aber die XXL-Särge betrifft, so vergass der Journalist nicht, mit einem einzigen Wort die vermeintliche Schuld an ihrem Zustand knallhart den verblichenen Adipösen selber zuzuschreiben. Sie hätten sich, merkt er in einem knappen Nebensatz an, ihr Gewicht ja „zu Lebzeiten angefressen“. Und da haben wir sie wieder, in der meistgelesenen Pendlerzeitung der Schweiz, die simple und höhnische Botschaft, die jede vernünftige Adipositas-Therapie so schwer macht: Sie sind ja ganz alleine selber schuld, die Dicken.
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Von Heinrich von Grünigen um 22:36 |
Meine Tante Rosa pflegte jeweils den Pfarrer von Carona zu zitieren, wenn sie bei Tisch nochmals so richtig zulangte und sich ein zweites oder drittes Mal von ihrer Leibspeise auf den Teller schöpfte: „Wenn Sünde, dann Sünde!“
Oder anders gesagt: Wenn du schon etwas tust, was du nicht solltest, dann mach es wenigstens von Herzen und richtig. – Diese Empfehlung ist mir vor allem im Zusammenhang mit Essen in Erinnerung. Allerdings waren wir damals im Zustand relativer kindlicher Unschuld und manche der landläufigen anderen Sünden waren uns noch gar nicht bekannt, oder höchstens aus Büchern.
Heute musste ich recht intensiv an die Tante denken, denn am Mittag gab es auswärts ein mehrgängiges Menü, dessen geschmackliche Qualität sich von Gang zu Gang steigerte, dazu einen Rotwein, der sich an die Zunge und in den Gaumen schmiegte, und eine aufgestellte Tafelrunde, die dazu beitrug, dass der an sich prosaische Vorgang der Nahrungsaufnahme sich zu einer Mischung aus Bankett und Festgelage entwickelte, die mehr als fünf Stunden dauerte. Wenn Sünde, dann richtig.
Und damit nicht genug: Als es im Zustand reichlicher Überfüllung zwei Stunden später ins warme Thermalbad-Wasser zum Aquafit ging, und die Lektion mit einigem Anstand abgestrampelt war, stand anschliessend ein verspäteter Klausimbiss für alle bereit, mit Nüssli, Mandarinen, selbstgebackenen Waffeln, kleinen Schnittchen aus dem Partybrot, Panettone, Datteln… und es war erstaunlich, wie doch die Aqua-Aktivität wieder Hunger gemacht hatte!
In solchen Momenten ist jeder Widerstand zwecklos. Und weil – was ein Teil des Problems ist – das Sättigungsgefühl sich entweder gar nicht oder nur extrem verschämt bemerkbar macht, weiss man auch gar nicht, wann es genug wäre. – Indes: Genug ist nicht genug… genug ist zuviel! Aber es war gut.
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Von Heinrich von Grünigen um 21:05 |
Ein gutes Sprichwort, das man uns vor einem halben Jahrhundert im Blick auf den bevorstehenden Kampf ums tägliche Überleben beizubringen versucht hat… und das heute unter dem Aspekt der Adipositas-Epidemie neue Gültigkeit erhalten hat.
Fett, das sich im Körper einlagert, macht nicht nur schwer, es „bedrückt“ auch alle Organe, mit denen es die Bauchhöhle teilen muss, dies vor allem bei übergewichtigen älteren Männern, die steinharte Kugelbäuche vor sich her tragen. Hier findet ein im wahrsten Sinne des Worte „atemberaubender“ Verdrängungskampf statt (wobei man uns später in der Schule zu überzeugen versucht hat, dass „atemberaubend“ eine falsche Formulierung sei, da man den Atem als solchen ja nicht „berauben“ könne (wessen auch?), aber dass einem Menschen oft der Atem „geraubt“ werde, so dass er nicht mehr schnaufen kann).
Nun liegt (wieder einmal) eine Studie vor, bei der an die 3’000 ältere Männer auf ihr Körpergewicht und den Anteil sowie die Verteilung des Körperfettes untersucht wurden. Denn das Gewicht allein sagt noch nichts aus über den effektiven Fettgehalt im Körper. Wer Muskeln hat, kann auch seinen Stoffwechsel spielen lassen. Nur in den Muskeln lässt sich Fett verbrennen. Deshalb ist Bewegung der erste Schritt zur Verbesserung der Situation und zu einem nachhaltigen Abbau der Fettdepots. – Allen eBalance-Nutzern sei deshalb empfohlen, die Fitness-Vorgaben ernst zu nehmen und den Körper in Schwung zu bringen.
Aber was schreibe ich da!? Steht doch bei uns zuhause ein wunderbarer, nicht etwa billiger Cross-Trainer (der so solid sein musste, dass er der Belastung von 150 Kilo standhielt)… und wäre es doch ein Kleines und Einfaches, jeden Tag vor dem Einschlafen den humanen Mechanismus kurz anzuwerfen und eine Runde zu trainern… aber ich bin oft selber überrascht, wie innovativ ich bin im Erfinden von Erklärungen, weshalb es ausgerechnet heute gaaaaanz unmöglich ist, auf das Gerät zu klettern… Es würde dann schon besser gehen, wenn ich erst wieder ein paar Kilo abgenommen hätte, sage ich mir. Aber Achtung: mit eBalance sind nun schon 4,5 Kilogramm weg. Lange kann ich diese Ausrede nicht mehr halten!
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Von Heinrich von Grünigen um 14:42 |
Aufmerksame Freunde und Bekannte stecken mir von Zeit zu Zeit einen Zeitungsartikel zu, auf den sie gestossen sind und der von „unserem“ Thema handelt: Übergewicht und wie damit umzugehen ist.
Christian ist Banker und liest die „Financial Times“. Diese druckte vor zehn Tagen einen Bericht ihres Washington-Korrespondenten ab, den man sich hierzulande politisch zu Herzen nehmen sollte. – US-Forscher haben aufgrund einer Vielzahl („Hunderte“) von Studien nachgewiesen, dass ein Zusammenhang besteht zwischen der Werbung für Junk Food, die sich an Kinder richtet, und Übergewicht.
„Nahrungs-Vorlieben und Essensverhalten bilden sich in den frühen Lebensjahren aus und beeiflussen so auf lange Zeit die gesundheitliche Entwicklung des Einzelnen; deshalb braucht es massive Veränderungen, um das kindliche Bewusstsein auf die Wahl gesunder Nahrungsmittel auszurichten.“ Diese Erkenntnis findet sich in einer Studie des Institute of Medecine, einer Forschungsabteilung der US-Amerikanischen Akademie der Wissenschaften, die vom Kongress und vom Senat in Auftrag gegeben worden war. „Wir fanden klare Beweise, dass TV-Werbung die Vorlieben der Kinder von 2 bis 11 Jahren bezüglich Essen und Trinken – zumindest kurzfristig – beeinflust.“
Pro Jahr geben die US-Nahrungsmittelhersteller rund 10 Milliarden Dollar für Werbung aus, die sich an Kinder richtet. Sollten die Appelle, freiwillig auf die Anpreisung hochkalorischer Nahrungsmittel im Umfeld der Kinderprogramme zu verzichten und gesündere Produkte zu propagieren, nicht befolgt werden, so verlangt die Studie entsprechende gesetzliche Regelungen. – Befragte Konzerne sagten aus, sie hätten bereits verschiedene Massnahmen im Sinne der Postulate unternommen… dass aber ein direkter Zusammenhang zwischen Werbung und Übegewicht bestehe, wird nach wie vor als „nicht bewiesen“ in Abrede gestellt.
Kommt uns das nicht bekannt vor? – Auch hierzulande will sich der Bundesrat nicht ins Essverhalten der Bürger einmischen und die Werbeleute halten nichts von gesetzlichen Auflagen. – Wie könnte man sie zu vernünftigem Handeln bringen? Welche staatstragende Partei könnte sich dieser Anliegen annehmen? Gewichtige Argumente hätte sie.
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Von Heinrich von Grünigen um 18:14 |
Die ganze suggestive Macht der umsatzfördernden Werbemassnahmen im Grossverteiler ist mir heute wieder so richtig bewusst geworden, als ich mich mit meinem Zettelchen in der Hand und dem Einkaufswägeli durch das dichte Gewühl all derer gekämpft habe, die – wie ich – offenbar nur am Samstagvormittag Zeit haben, ihren Kühlschrank aufzufüllen.
Ich hatte mir vorgenommen, diesmal streng nach der eBalance-Einkaufsliste vorzugehen, denn Anfang Woche steht mein Arzttermin bevor und da möchte ich mir übers Wochenende kein mutwillig angeschlemmtes Gramm leisten, sondern mich strikt an die Rezeptvorgaben halten. Was nicht eingekauft ist, das kann auch nicht dick machen.
Und da hat es mich von allen Seiten überfallen: Riesige Körbe mit Kilosäcken voller Spanischnüssli, hohe Stapel 500g-Schokoladetafeln zu Sonderrabatt-Preisen und festlich eingepackt, ganze Regale vollgestopft mit Panettone-Schachteln, beigenweise die schönsten Nikoläuse und Weihnachtsengel aus Lebkuchen und Zuckerguss, Kisten mit Zimtsternen und Brunsli in allen Grössen, Tonnen von Knabbergebäck und Champagnerflaschen schon für Silvester, geschmackvoll assortierte Fleisch- und Käseplatten zu Gebirgen aufgetürmt, Chips in allen Geschmackssorten und in der extragünstigen Riesenpackung… es war mir als würde jemand irgendwo den Leuten zurufen: „Kauft, kauft und esst, es hat genug, wer weiss, ob Morgen noch etwas von dem Segen da ist…“
Und ich mit meinem Zettelchen, auf der Suche nach einer Packung Tofu, einem vietelfetten Käse, einer Rande, etwas Sellerie und Lauch und zwei Peperoni… – Aber an der Kasse, wenn man sieht, wie die andern ihre vollgestopften, hoch aufgeschichteten Wagen aufs Förderband umladen und wie der Kassenzettel sich unaufhörlich ruckelnd in die Länge schiebt, dann verspürt man das gute Gefühl, heil wieder der Konsusmhölle entronnen zu sein, ohne Fehltritt und ohne Reukauf und ohne der schieren Versuchung erlegen zu sein… bis auf das eine Glas Konfitüre: „Holunderblüten“ steht drauf, und „NEU!“ Aber die kann man zum Frühstück in kleinsten Portionen geniessen.
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Von Heinrich von Grünigen um 21:20 |
Was waren das doch früher noch für Zeiten, als man jung und rank war und in der Walliserstube unbeschwerten Gemütes „Raclette à discretion“ bestellen konnte, worauf ein Wettessen losging, um zu ermitteln, wer am meisten der zähflüssigen Käseplätzchen verdrücken konnte. Unter 25 wurde aus Prinzip nicht klein beigegeben.
Heute wissen wir – und man kann es im eBalance-Kalorienrechner nachprüfen – dass 100 Gramm Raclette 359 Kalorien enthalten, dazu 28 Gramm Fett und 26 Gramm Proteine… – 25 kleinere Raclette wären also rund 700 Gramm Käse, das sind dann 196 Gramm Fett (und somit mehr als der dreifache Tagesbedarf) und 2’500 Kalorien: meine komplette Tagesration!
Heute Mittag hat es Raclette gegeben. Es ist Tradition beim Kinderhilfswerk „Terre des hommes“, dass anlässlich der letzten Sitzung im Jahr der CEO und der Präsident des Stiftungsrates für das gesamte Personal Raclette zubereiten. Vier komplette Käsehälften haben wir verbraten, Peter und ich, unter der glühenden Heizschlange zum Brutzeln gebracht, mit dem Messerrücken zärtlich und doch bestimmt in die Teller abgestreift, die „religieuses“ – die angeschmorte Rinde – elegant abgeschnitten und dazu gegeben… weit über hundert Mal…
Und das Beste an der Übung: Ich stand zwei Stunden lang mitten im würzig-milden Käsedunst, der sich in alle Poren legte, und kam vor lauter Abstreichen und Einschneiden und Tellerzurechtrücken und Abstreifen kein einziges Mal dazu, selber eine Raclette zu verspeisen… Am Ende, als keiner mehr sich in die Warteschlange einreihen mochte, war ich so übersatt und käsedurchtränkt, dass es mir nicht im Traum in den Sinn gekommen wäre, mehr als ein einziges Tellerchen selber zu essen… Die kaloriensparendste Art, eine Walliser Spezialität zu geniessen!
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Von Heinrich von Grünigen um 22:27 |
Beim abendlichen Zappen verweile ich gelegentlich bei Formaten wie „Talk-Talk-Talk“ oder „voll total“, bei diesen wiederverwerteten Zusammenschnitten von möglichst schrillen und krassen Szenen aus den nachmittäglichen Talkshows, in denen besonders auffällige Exemplare der humanen Spezies wie Pitbulls aufeinander gehetzt werden, damit sie sich verbal so richtig fetzen können.
Dabei fällt auf, dass in ungewöhnlich vielen Sendungen dicke Menschen eine ganz besondere Rolle spielen. Je fetter und ordinärer sie sich gebärden, umso lauter und giftiger – oft sogar handgreiflich – werden die Auseinandersetzungen und die gegenseitigen Beschimpfungen, über die sich gelegentlich schamvoll ein Piepston legt, um allzu herbe Obszönitäten zu kaschieren.
Es ist ein erbärmliches Image der übergewichtigen Menschen, das so in die nachmittäglichen TV-Stuben gebeamt wird: Sie sind primitiv, dumm und eingebildet, kleiden sich geschmacklos in viel zu enge Klamotten, aus denen sich die Fettwülste herauswuchten, und wenn wir wirklich Pech haben und es sich um einen Ausschnitt aus einer US-Show handelt, dann strippen sie auch noch…
Verrückt dabei ist, dass solch widerliche Darbietungen eine irgendwie perverse Faszination ausüben. Man bleibt dran in einer Mischung aus Abscheu und Voyeurismus, in der unbewussten Erwartung, dass es vielleicht noch schlimmer kommt… Und ist irgendwie enttäuscht, dass es doch fast immer mehr oder weniger das Gleiche ist.
Vielleicht haben solche Darbietungen, auch wenn sie kaum das richtige Leben spiegeln und meist von bezahlten Interpreten aufgeführt sind, ihren verborgenen Sinn darin, dass sie den Frustrierten, Hoffnungslosen und Entmutigten, die daheim vor dem Bildschirm hocken, die Gewissheit vermitteln, dass es da draussen irgendwo noch Leute gibt, denen es dreckiger und schlechter geht als ihnen selber. Schade nur, dass dabei meist die Dicken dran glauben müssen.
PS: In diesem Moment flimmert ein Spot über den Bildschirm, in dem für Orangen und Mandarinen geworben wird – als Ersatz für zucker- und fetthaltige Schleckereien… dumm nur, dass die Kinder, die durch diesen Spot angesprochen werden sollten, nachts um halb elf eigentlich im Bett sein müssten.
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Von Heinrich von Grünigen um 22:57 |
Freund Rolf hegt düstere Gedanken, als wir nach unserer wöchentlichen Aquafit-Stunde erschöpft, aber doch wohlig erleichtert bei einem halben Liter Mineral und einem Glas guten Rotweins aus Sizilien im Restaurant Hofwiesen/Trinacria sitzen.
Wer kommt nun als nächstes dran? Seit Sonntag ist das Rauchen im Umfeld der Bahn verboten. Flächendeckende Kontrollen der Automobilisten bezüglich Alkohol am Steuer künden sich an. In England soll es „husten-freie“ Zugsabteile geben… – Wann wird uns wohl das Essen verboten? Und mit welchen Mitteln kann man uns Dicke ausgrenzen und schikanieren? Uns, denen man unser „Anders-Sein“ schon von weitem an unserer Fülle ansieht?
Schneidet man uns demnächst mit Krummsäbeln bei lebendigem Leib und öffentlich den Speck von den Rippen? Kommen der Maulkorbzwang gegens Essen und die allgemeine Magenband-Pflicht als Pendent zur Leinenpflicht? – Nun gut, unser Verhalten – ob wir es unter Kontrolle haben oder nicht – gefährdet wenigstens „nur“ uns selber. Mit unserem Dicksein richten wir keinen Schaden an Dritten an, der so wirkungsvoll am Boulevard inszeniert werden könnte, dass unsere Volksvertreter in Windeseile eine Petition unterschreiben und Gesetze verabschieden, selbst wenn dadurch an sich sinnvolle Massnahmen gegen die zunehmende Fettsucht endlich umgesetzt würden…
Nein, es besteht kein Anlass, sich vor weiteren Verschärfungen zu fürchten. Übergewichtige sind heute bereits auf eine so brutale Weise in der Gesundheitsvorsorge diskriminiert, dass sie sich kaum steigern lässt. Ehe eine lebensrettende Operation, Bypass oder Magenband, auf Kosten der Krankenkasse ausgeführt werden kann, müssen „Bedingungen“ erfüllt sein, die für keinen andern Eingriff gelten. Den Patienten wird vorgehalten, dass sie an ihrer Krankheit selber schuld seien, sie müssen zuerst beweisen, dass keine andere Therapie geholfen hat, sie müssen ein minimales Maximalgewicht erreicht haben, sonst gibt es nichts, und wenn sie über sechzig Jahre alt sind, wird sowieso nichts bezahlt.
Bei keiner anderen Krankheit findet man solche Auflagen. Dem Patienten mit Lungenkrebs sagt keiner, er solle zuerst zwei Jahre nicht mehr Rauchen, bis man ihn operiert. Der verunglückte Autoraser kommt unabhängig von seinem Alter auf die Intensivstation, ohne dass man ihn vorher fragt, ob er eventuell eine Mitschuld am Unfall trage. Der Aidskranke erhält sein lebensverlängerndes Medikament, ohne dass er sich einer peinlichen Befragung über seine Sexualpraktiken unterziehen muss… Ich weiss, jeder Vergleich hinkt letztlich irgendwo, das haben Vergleiche so an sich. Aber die Tatsache bleibt: Bis weit in die oberen Hierarchien der – vielfach spindeldürr-sportlichen – Gesundheitsverantwortlichen ist der Übergewichtige nach wie vor an seinem Zustand alleine und selber Schuld. Und damit soll er sich gefälligst abfinden. Maulkorb!
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Von Heinrich von Grünigen um 22:20 |
Laura ist Konditorin und macht Pralinés. Sie ist die Hauptfigur in einer TV-Serie mit dem Namen „Sturm der Liebe“, die unter der Woche jeden Nachmittag um zehn nach drei auf ARD „Das Erste“ zu sehen ist und tief ins Seelenleben der Zerstreuung suchenden Hausfrau hineingreift.
Von der Geschichte weiss ich nichts, aber dank der Gattin habe ich erfahren, dass auf der Website zur Serie ein neckischer Gag angeboten wird. Wer sich bei der ARD unter www.daserste.de einloggt und dort „mehr“ über die Serie „Sturm der Liebe“ erfahren will, der findet unter anderem einen Link zu einem „Pralinen Orakel“.
Ein interaktiver Selbsttest, der es in sich hat. Nach einem Klick befinden wir uns in einer heimelig-altmodischen Konfiserie, man zieht förmlich den schweren Geruch von süsser Schokolade durch die Nüstern ein. Wenn man nun auf „Start“ klickt, sieht man am oberen Bildrand eine Leiste mit 15 verschiedenen, verlockend-anmächeligen Pralinen: Sahne-Krokant-, Nougat-, Mandelcrème-, Walnusscrème-, Edelmarzipan-, Weisse Milchschaum-Praline, Joghurt-Crisp-, Schwarz-weisser Pfeffer-, Chili-Feuer-, Pfefferminz-Praline, Bitter-Trüffel, Rum-Trüffelcrème-, Mokkacrème-, Ingwer-Quitten- und Champagner-Pralinés… – ist Ihnen beim Lesen das Wasser auch so im Mund zusammengelaufen wie mir beim Schreiben?
Darunter befindet sich eine Pralinéschachtel mit 16 leeren „Plätzen“: Nun kann man mit „drag and drop“ einzelne Pralinés aus der oberen Reihe auswählen und in die Schachtel einfüllen. Ist sie voll, erscheint die Aufforderung, die getroffene Auswahl „auswerten“ zu lassen. – Darauf sieht man auf einem hübschen Stück Pergamentpapier eine akkurate Beschreibung der eigenen „Praliné-Persönlichkeit“. Und es gibt so viele Typen, wie es Varianten in der Auswahl aus dem Angebot gibt.
Aus reiner Neugier habe ich die ganze Schachtel mit einer einzigen Sorte gefüllt, um zu prüfen, zu welchem Typ diese Konsequenz denn führt. Und das ergab z.B. (in Kurzfassung) bei Edelmarzipan-Pralinés den Typ „herzliche-ehrlich“ (das gefällt mir nicht schlecht, ich bin schliesslich Marzipan-Liebhaber)! Und die Chili-Feuer-Pralinés gehören zum „egozentrisch-skrupellosen“ Typ. Wer Bitter-Trüffel bevorzugt, der ist „leichtfüssig-einfältig“ und wer ausschliesslich Champagner-Pralinés nimmt, dem bescheinigt das Pralinen Orakel, „verschlossen-unberechenbar“ zu sein.
Das sind erst vier aus 15 Typen. Die Varianten bei individueller Mischung sind Legion, dazu noch je unterschiedlich für Mann oder Frau… Da kann ich nach Herzenslust die gluschtigen Schoggi-Preziosen packen, einsortieren, betrachten… im richtigen Leben hätte ich in kürzester Zeit ein Kilo davon gemampft. Nicht auszudenken. So aber bleibt alles virtuell und gefahrlos, garantiert ohne gewichtrelevante Nebenwirkungen.
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Von Heinrich von Grünigen um 22:26 |
Ich habe gestern über den Umgang mit Zucker in unseren Nahrungsmitteln berichtet. Heute lese ich im „Spiegel„, dass am Weltmarkt ein globaler Kampf um den Zucker im Gange ist, bei dem es um die Entwicklungsmöglichkeiten ganzer Länder und/oder den Erhalt historischer Landwirtschafts-Privilegien in Europa geht.
146,2 Millionen Tonnen Zucker pro Jahr werden weltweit produziert, was einem Handelswert von 63 Milliarden Euro entspricht. In Europa wird er aus Zuckerrüben gewonnen und zum Preis von 63 Cent verkauft; in Brasilien, dem grössten Zuckerproduzenten, kostet das Kilo 28 Cent, die Arbeitskräfte sind billiger und der billigere Zucker drängt mit Macht in den europäischen Markt, nachdem die EU per Gerichtsurteil durch die World Trade Organisation gezwungen wurde, ihre Zollschranken abzubauen und den eigenen Zuckerpreis schrittweise zu senken.
Das bringt die hiesigen Produzenten in Bedrängnis und europäische Rübenbauern müssen mit massiven Existenzproblemen rechnen, ja sehen sich vom Ruin bedroht, während Länder wie Australien, Indien, Südafrika und Basilien einen wirtschaftlichen Gewinn am Weltmarkt erwarten können.
Da sind weltökonomische Kräfte am Werk, vor deren Hintergrund unser Bemühen, den Zuckerkonsum möglichst vernünftig zu gestalten und wenn es geht einzuschränken, eher kleinlich wirkt. Denken wir daran, wenn wir das Zuckerbriefli für den Espresso aufreissen? Sind wir uns der Thematik bewusst, wenn wir ein Praliné auf der Zunge zergehen lassen? Oder ein Stück Würfelzucker in den Tee einrühren? – Kaum. Wir wissen, dass Zucker süss schmeckt und dass wir das mögen. Es ist erwiesen, dass Zuckergenuss Glücksgefühle auslöst. Dabei handelt es sich doch nur um eine schlichte chemische Verbindung mit der (nicht ganz leicht zu merkenden) Formel C12H22O11…
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