16/1 Max, das dicke Kind
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 23:11 |
Abstecher in die Ambassadorenstadt. Eröffnung der 41. Solothurner Filmtage mit einem Referat von Bundespräsident Moritz Leuenberger und dem Spielfilm „Nachbeben“ von Stina Werenfels.
Das ist einer der stärksten Filme, die ich in den zurückliegenden 40 Jahren auf den Solothurner Leinwänden gesehen habe! Die packende, beklemmende, gleichzeitig liebevoll beobachtende und scharf analysierende Darstellung eines zeitgemässen, „trendigen“ Schicksals.
Die Geschichte eines sehr erfolgreichen Investment-Bankers, dem aber nach einigen Misserfolgen das Wasser am Hals steht. Mit Aufputschmitteln hält er die Fassade oben, zelebriert zackig den aufgestellten Familienvater und inszeniert eine hedonistische Gartenparty, zu der sich sein Chef und Geschäftspartner, dessen Frau mit Baby und ein junger Shooting Star aus der Firma einstellen… und dann beginnt sich immer rasanter eine Spirale zu drehen, in der die gegenseitigen Abhängigkeiten, Machtspiele, Sehnsüchte, Eitelkeiten und Leidenschaften ausgelebt werden…
Was eben noch heile Familienwelt war, offenbart sich als abgründige Lebenslüge, an der schliesslich die so schön übertünchte Luxusexistenz in der Villa mit Seeanstoss zerbricht und in sich selber zusammen fällt, ein Häuflein Selbstmitleid und Einsamkeit.
Eindrückliche Figuren, die freilich kein Cliché auslassen, kräftige Dialoge, im gehetzten Tempo des Lifestyle-Stresses, eine Kamera, die porentief an die Charaktere heran geht… Eine sackstarke Produktion! – Sie hat – und da sind wir dann bei „unserem“ Thema – einen heimlichen, tragischen Helden. Es ist Max, der halbwüchsige Junge des Macho-Bankers „HP“ und seiner Frau Karin, die Innenarchiterktur studiert und zur Wodkaflasche greift wie unsreins zu Walserwasser.
Max ist adipös. Er steckt in seinem Fettpanzer, der ihn schützt vor der kumpelhaften Überforderung durch den Vater, er lebt in einer versponnen Welt aus Videogames und einer selbst gebastelten Überwachungsanlage, mit der er die Erwachsenen bei ihren Party-Gesprächen im Garten beobachten und belauschen kann, er hört durch die dünnen Wände Gesprächs- und Streit-Fetzen aus dem Nebenraum und er kriecht wie ein Gnom auf allen Vieren aus seiner Zimmertür, die Kapuze tief über den Kopf gezogen… Er ist da – und doch nicht dabei. Er weiss, dass sein Vater ihn verachtet, er sucht die Liebe seiner Mutter und er lebt in seinem elektronischen Kokon ausgeliefert und zugleich geborgen. Fassungslos beobachtet das dicke Kind den Untergang der vordergründigen Welt seiner Eltern.
Dieser Figur nähert sich der Film mit einer zärtlichen Anteilnahme, die betroffen macht und die weit über das desillusionierende Ende hinaus nachwirkt.