19/1  Eine wahre Katastrophe

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:28

In Zürich läuft etwas, das man Wahlkampf nennt, das aber keiner sei. Sagen die, die darüber berichten müssten.

Ich wurde – als ehemaliger Radiomann – eingeladen an ein Podiumsgespräch, veranstaltet von einer Parteiengruppierung (Grüne, Junge Grüne und Christlichsoziale), der man landläufig keine besondere Affinität zum Ordnungsstaat und zu dessen Hütern nachsagen möchte. Und doch waren da alles Referenten mit einem ordnungsgemässen Hintergrund: Der Polizeimann, der die Katastrophen-vorsorge koordiniert, die Theologin, die als Polizeiseelsorgerin die Leute im harten Einsatz betreut, der Versicherungsspezialist, die Stadträtin… und dann noch der Journalist.

Wir haben alle „katastrophalen“ Zustände erörtert, angefangen mit demjenigen, in dem die Welt sich dank dem Menschen befindet, über medial vermittelte Events wie „9/11“, „Tsunami“ oder Erdbeben, bis zu näheren Vorkommnissen à la Flugzeug-absturz aufs städtische Wohngebiet, Unfall mit einem Tanklastwagen in der Innenstadt oder Staudammbruch beim Sihlsee…

Und erörtert wurde, wie mit diesen Ereignissen umzugehen sei, wie darüber informiert wird, wer sich vorbereitet, wer „richtiges“ Verhalten einübt und was man zur Vermeidung unternehmen könnte. – Eine sehr abwechslungsreiche Diskussion, die alle Aspekte streifte und auch Raum liess für politische Standortbezüge.

Der Versicherungs-Fachmann war es, der den Gedanken der Solidarität ins Spiel brachte: Bei der Gebäudeversicherung gibt es einen Einheitstarif, unbesehen, ob das Haus am Flussrand, im Lawinenkegel oder auf sicherer Höhe steht. Solidarisch trägt der eine das Risiko des andern mit und wappnet sich so gegen die Kostenfolgen einer Katastrophe. – Da musste ich einwenden, dass wir leider im Begriff sind, im Gesundheitswesen die Solidarität über Bord zu kippen.

Risikopatienten werden von Zusatzleistungen ausgeschlossen. Die chirurgischen Eingriffe bei Übergewicht unterliegen diskriminierenden Regelungen bezüglich Alter und „Vorleben“, wie sie keine andere Krankheit kennt! Hier bahnt sich eine Praxis der gezielten Vernachlässigung des Solidaritätsprinzips an, die uns mit panischem Schrecken erfüllen müsste. Eine wirkliche Katastrophe, denn sie ebnet der Zweiklassenmedizin definitiv den Weg, sie zwingt Betroffene in einen Rechtfertigungs-Zyklus, aus dem man bald nur noch mit Tricks und Manövern herauskommt… Und es sieht ganz so aus, als stünden wir erst am Anfang einer Spirale, die sich zuerst langsaam, dann immer schneller dreht.

Zum Wesen der Katastrophe gehört, dass man aufgeregt darüber berichtet. Es wäre an der Zeit, dass wir uns über diesen Zustand lautstark zu empören begännen.