26/1 Es fängt erst an
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 23:21 |
Grosse nationale Gesundheitsförderungs-Konferenz in Aarau. Über 400 Teilnehmende, Regierungsvertretungen vom Bundesrat bis zum Stadtpräsidenten, und erstrangige internationale Experten.
Prof. W. Philip T. James ist Chairman der internationalen „Obesity Task Force“ mit Sitz in Londen. Er kennt die Welt des Übergwichts wie seine Hosentasche, hat in allen Herren Ländern mit Regierungen, Wirtschaftsführern, Wissenschaftern konferiert auf der Suche nach Strategien und Lösungsansätzen im Kampf gegen die Epidemie des 21. Jahrhunderts, die im Begriff ist, eine Pandemie zu werden. Die Zahlen sind ja bekannt: 1,7 Milliarden Menschen sind weltweit übergewichtig und es werden explosionsartig laufend mehr.
Was dagegen zu unternehmen sei? James ist knallhart und desillusioniert. Um die Kinder zu schützen, muss als erstes die TV-Werbung für fette und süsse Nahrungsmittel verboten werden; in den Schulen braucht es eine rigorose Kontrolle des Essverhaltens; in Nähe der Schulen darf es keine Fast-Food-Angebote mehr geben. – Und für die übergewichtige Bevölkerung fordert er: Ampel-Symbole zur Kennzeichnung der „gefährlichen“ Nahrungsmittel, Fettsteuer, Verbilligung von Früchten und Gemüsen, Import-Beschränkungen.
Bundesrat Pascal Couchepin hatte in seinem launigen Begrüssungsvotum einmal mehr das hohe Lied der persönlichen Verantwortung jedes einzelnen gesungen und dargelegt, dass es nicht Sache des Staates sei, sich in die Lebensgewohnheiten seiner Bürger einzumischen. – Das ist, mit Verlaub, Herr Bundesrat, die billigste Formel, sich als Politiker vor der Verantwortung zu drücken, mutige, aber unbequeme Entscheide zu treffen.
Im anschliessenden Kolloquium legt Prof. James dar, was er von derlei „Gesundheitspolitik“ hält: Gar nichts! – Der Appell an die Selbstverantwortung sei angesichts der Übergewichtsproblematik in etwa das Falscheste, was man propagieren könne. Die menschliche Natur sei nun einmal darauf ausgelegt, sich mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Genuss zu verschaffen… da hülfen nur strikte Regelungen, um Betroffene vor sich selbst zu bewahren. Der „freie Markt“ setzt die Konsumenten unter Druck, durch Zugabe von Aromen werden die Leute gezielt konditioniert, so dass sie abhängig werden; als die Ketchup-Firma „Heinz“ den Salzgehalt in ihren Produkten reduzierte, wechselten die Verbraucher zur Konkurrenz, was „Heinz“ dazu bewegte, sich eine verbindliche staatliche Richtlinie für alle zu wünschen…
In Finnalnd waren Regierung und Medizin untätig, bis sich im Volk der Widerstand regte und durchgesetzt wurde, dass bei jedem Lebensmittel-Verkaufspunkt auch Früchte und Gemüse zu erschwinglichen Preisen angeboten werden musste. – In Singapore wurde mit drastisch-diktatorischen Massnamhen (Berufsverbote für Übergewichtige, Ausgrenzung dicker Kinder in der Schule) innerhalb von drei Jahren die Anzahl der Übergewichtigen von 16 auf 10% gesenkt.
Der Erklärung der Süssgetränkehersteller, die gestern in Brüssel publik wurde, sie wollten ihre Werbung einschränken, die sich an Kinder richtet, steht James skeptisch gegenüber: PR-Proklamationen seien das eine, deren Vollzug in der Praxis aber kaum zu kontollieren.
Ein beklemmendes Panoptikum, das uns da geschildert wird… Der Kampf will geführt sein. Die Tagung geht am Freitag weiter, und wenn die Schweiz meint, sie habe die Sache im Griff, dürfte sie sich irren. Es fängt erst an.