26/4  Die Gen-Schuld

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 22:55

Es ist ein alter Streit: Ist Übergewicht primär genetisch bedingt oder ist es vor allem durch die (falsche) Lebensweise verursacht? Wer die Streitfrage auf ein simples „entweder-oder“ reduziert, macht ohnehin einen Fehler. Aber im einfachen Denken mancher Zeitgenossen ist die Frage sowieso schon beantwortet: Die Dicken essen zu viel und bewegen sich zu wenig, basta.

Dabei ist die Sache eben viel komplexer. – Genetisch vorgegeben ist auf jeden Fall das grundsätzliche Verhaltensmuster des Körpers: entweder er hat die (genetisch definierte) Eigenschaft, bei Überfluss an Energiezufuhr Reserven zu bilden – oder er gehört in die Kategorie der „verbrennenden“ Organismen, welche überflüssige Energie in nächtliche Wärme umwandeln und essen können, was und wieviel sie wollen, ohne je zuzunehmen. Man geht heute davon aus, dass etwa 30 Prozent zur Kategorie dieser „glücklichen Verbrenner“ gehören. Solange keine Hungersnot herrscht, haben sie es gut.

Die „anderen“ 70 Prozent sind genetisch so programmiert, dass sie Gewicht ansetzen (müssen), sobald sie „im Überfluss“ leben. Die haben es also wesentlich schwerer, mit dem überreichlichen Angebot an Nahrungsmitteln umzugehen, wenn ihnen gleichzeitig immer mehr Möglichkeiten geboten werden, Bewegung zu vermeiden. – Und dann kommen noch die genetischen „Spezialfälle“, bei denen durch „Defekte“ in der Gen-Struktur gewisse Funktionen gestört sind, die zur Steuerung des Essverhaltens durch geregelte Hunger- bzw. Sättigungsgefühle nötig sind. Hier hat die Forschung in jüngster Zeit einige Zusammenhänge aufgedeckt, die noch weiter zu vertiefen sein werden.

In der Zeitschrift „Science“ berichtet ein Forscherteam über eine neue Gen-Variante, von der man annimmt, dass sie massgeblich am Entstehen von Adipositas beteiligt ist. Bei einem breit angelegten Vergleich von DNA-Proben (von zehntausenden Probanden in USA) wurde das Gen „INSIGN2“ identifiziert, das bei etwa 10 Prozent der Bevölkerung vorhanden ist und das auf die Bildung von Fettsäuren in der Leber einwirkt. – Wer in seiner Erbsubstanz über diese Gen-Variante verfügt, der hat ein um 30 Prozent erhöhtes Risiko, an Adipositas zu erkranken.

Soweit die Studie, die durch verschiedene Vergleichs-Studien bestätigt wurde (wobei eine andere Studie nicht zu einer Bestätigung geführt hat). – Was können wir nun mit dieser Information anfangen? Sie bestätigt zunächst, dass nicht alle Menschen die gleichen (ungünstigen) Vorausetzungen haben, von Adipositas betroffen zu werden. Und dass bestimmte genetische Faktoren sich in ihrer problematischen Wirkung durchaus „verstärken“ können. Dies zu wissen oder gar für die eigene Situation durch einen Test bestätigt zu bekommen, kann eine grosse „Entlastung“ sein.

Das heisst freilich nicht, dass man in einem solchen Fall die ganze „Verantwortung“ nur auf die Gene abschieben kann. Sie spielen eine unterschiedlich wichtige Rolle, aber der Einzelne bleibt immer noch für sich selber verantwortlich. Er muss eine Veränderung wollen und sie auch – mit fachkundiger Hilfe – durchziehen. Dabei kann es hilfreich sein, etwas mehr über die Hintergründe und über mögliche Ansätze zur Lösung zu wissen. Die findet man – ich weise gerne wieder mal darauf hin – auf der Linkplattform unserer Stiftung, von der aus man mit einem Klick in die ganze Cyberwelt der Adipositas-Information eintauchen kann. – Auf Wiederlesen!