10/6 Ein Geburtstag
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 23:40 |
Geburtstagsparty bei einer Bekannten. 94 ist sie geworden, auf Pflege angewiesen, in einem Heim gut aufgehoben und in fröhlicher Runde im Freundeskreis wird die gute alte Zeit durchgehechelt… weisst du noch?
Unvermeidlich, dass dabei das Gespräch auch aufs Abnehmen kommt. Es werden Erfahrungen ausgetauscht, Erlebnisse beim Arzt, dem der Mann nicht glauben will, der ihn dann zur Ernährungsberatung schickt. Und die Frau geht mit, zwecks Motivationshilfe, das Schlimmste schon ahnend, dass da wieder so eine sportlich-ranke Tusse kommt, die ihr Sprüchlein aufsagt, was alles verboten und zu meiden sei…
Und dann die angenehme Enttäuschung, dass alles anders ist: dass die Beraterin selber ein paar Pfunde zu viel hat, dass sie auf die persönliche Situation ihres Patienten eingeht, ihm Tipps und Empfehlungen gibt, die er einhalten kann, die ohne Zwang auskommen und ohne moralischen Drohfinger. Dass sie realistische Ziele vorgibt, nach dem Motto: Man muss das Gewicht so verlieren, wie man es gewonnen hat… langsam.
Es ist verblüffend und ein immer wiederkehrendes Thema, das die meisten beschäftigt, die über Jahre mit ihrem Gewicht gekämpft haben. Man wüsste eigentlich ganz genau, was zu tun und was zu lassen wäre. Man verfügt in der Theorie über die ganze Kenntnis der Zusammenhänge und der Wirkungen, man ist zum Experten geworden, hat Bücher gelesen, Programme ausprobiert, sich mit Theorien befasst… aber man ist auch jeden Tag wieder in der Situation, dass es Gründe und Veranlassungen gibt, das Wissen, das man hat, jetzt in diesem Moment gerade nicht anzuwenden oder anwenden zu können. So lässt man es und sagt sich, ab Morgen gilt es dann.
Irgendwie tröstlich, dass man mit dieser Erfahrung nicht allein ist. Und der 94. Geburtstag ist ein guter Grund für alle, heute mal ein Auge zuzudrücken und das Stück Erdbeertorte mit Hingabe zu geniessen, und auch das Schälchen mit der Meringue-Crème nicht zu verachten und mit dem Glase Rotwein auf die Jubilarin anzustossen, denn wer weiss, wann wir wieder so zusammenkommen? Jünger nicht – aber dann vielleicht doch leichter.