19/1  Selbstbewusst und krank

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:50

Vor einer Woche hat sich das Magazin FACTS mit Fragen rund um staatliche Eingriffe im Kampf gegen Übergewicht befasst. Auch ich wurde befragt und abgebildet. Der Journalist hatte sich leider in die These verbissen, wer Regelungen verlange, wolle „die Dicken bekämpfen“… Dabei geht es um das Gegenteil, nämlich die Verhältnisse so zu beeinflussen, dass Menschen, die zum Dickwerden veranlagt sind, vor Umwelt-Zwängen verschont werden…

Kurz porträtiert wurde auch eine Gruppe, die das Internet-Portal Rund, n@ und?? betreibt. Eine an sich sympathische Organisation, die bestrebt ist, im „Rundsein“ die positiven Aspekte zu sehen und übergewichtigen Menschen Mut zu machen, sich zu akzeptieren, zu sich und seinem Gewicht zu stehen, sich nicht fertig machen zu lassen. Das ist ein wichtiger Ansatz, der Vielen helfen könnte.

Allerdings haben die Rundnaündler gestern in FACTS noch einen Leserbrief nachgeschoben, der mich reichlich irritiert hat. Sie seien, sagen sie, im Artikel falsch dargestellt worden. Es sei ihnen wichtig, darauf hinzuweisen, dass sie vor allem das Selbstbewusstsein der Übergewichtigen fördern möchten. Denn wer selbstbewusst sei, der könne jederzeit abnehmen, wenn er nur wolle… aber wenn er selbstbewusst sei, könne er auch getrost dick bleiben und dabei gesund sein…

Das, mit Verlaub, ist Schwachsinn, meine Lieben. Zwar nicht jetzt, wo ihr das sagt und wo ihr von dem, was ihr sagt, überzeugt seid. Denn ihr seid jung, in den besten Jahren. Euer Körper funktioniert auch unter einer gewissen Fettschicht noch leidlich, ihr mögt euch noch bewegen und euer rundes Leben geniessen… Ich weiss, wovon ich spreche, denn ich hatte das mit 40 Jahren auch noch so. Und an Selbstbewusstsein hat es mir eigentlich nie gefehlt. Ich scherte mich wenig um mein Gewicht, machte von Zeit zu Zeit aus ästhetischen Überlegungen wieder mal eine Diät (oder wenn ich partout nicht mehr in die Uniform passte). Und wer mir mit der Gesundheit kam, den belächelte ich mild, denn meine Werte waren immer super: kein Zucker, kein Cholesterin, auch (noch) kein zu hoher Blutdruck…

Der Knick kam dann mit 55. Zuerst waren die Schmerzen in den Knien, die eine Operation nötig machten, dann fehlte der Schnauf beim Treppensteigen, Schweiss brach nach zwanzig Schritten aus, das Herz raste mit viel zu hohem Blutdruck… ich fühlte mich als fettes, aufgedunsenes körperliches Wrack, da half kein Selbstbewusstsein und kein gutes Zureden. Und als ich mich endlich dazu aufgerafft hatte, nun ernsthaft etwas zu unternehmen, merkte ich, dass es inzwischen unheimlich schwierig geworden war… Das war vor zehn Jahren. Und ich ärgere mich über die Sorglosigkeit meiner früheren dicken Jahre.

Wenn ich lese oder höre, dass man dicken Menschen Mut machen solle, mit Freuden dick zu bleiben, weil das gesund sei, dann macht mich das zuerst wütend, dann betroffen und schliesslich traurig. Selbstbewusst und blöd. Sorry, aber das müsste nicht sein. – Denn selbst-bewusst heisst ja, dass man sich seiner selbst und dessen, was für einen gut ist, bewusst ist. Reden wir in zwanzig Jahren wieder darüber?