15/5 Weh‘ dem, der lügt!
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 23:50 |
Freund Rolf bebte noch vor Zorn, als er mir beim nach-aquatischen Schlummertrunk die Geschichte erzählte. Er hatte wieder mal seinen Arzttermin mit einer Auflage, welches Zielgewicht er wenn möglich erreichen sollte. Er hatte sich die Tage zuvor Mühe gegeben, nur noch mit Mass gefuttert und getrunken, und seine Waage gab schmeichelhafte Werte an. Er durfte stolz sein auf sich und das erreichte Zielgewicht. Am Vorabend gönnte er sich sogar noch einen kleinen Extra-Luxus – so viel lag noch drin.
Am andern Tag dann die berüchtigte Stunde der Wahrheit. Der Moment in der Praxis, wo man von der freundlichen Gehilfin in Weiss zum messtechnischen Schafott geführt wird. Im Sinne einer letzten Gnade kann man noch die Schuhe ausziehen, die Taschen leeren, den schweren Geldbeutel mit dem fremdländischen Münz, den Schlüsselbund, das Handy und sogar die Armbanduhr auf eine kleine Konsole legen… vielleicht hat man vorher sogar noch den Gürtel mit der schweren Schnalle weggelegt, und dann besteigt man mit Todesverachtung das mit geriffeltem Gummi bezogene Folterinstrument… Ein schräger Blick auf die digitale Anzeige, noch zuckt sie nervös zwischen verschiedenen Ziffern pendelnd hin und her, dann wird das Pendeln langsamer… und natürlich friert die verräterische Zahl unfehlbar beim höheren Wert ein!
Die Gehilfin schreibt die Zahl auf ein Blatt, sie wird den Wert anschliessend in den Computer eintippen, noch harmlos fragen, wie es denn so gegangen sei, seit der letzten Konsultation, und wenn man schliesslich vom Doktor selber ins Behandlungszimmer gebeten wird, hat sich die gemessene, abgelesene, aufgeschriebene und eingetippte Zahl verwandelt in den letzten Punkt in einer fein gezackten Kurve: in den Gewichtsverlauf seit Beginn der Behandlung. – Und als Rolf das sieht und die Stimme des Arztes hört, wird ihm schwarz und rot vor den Augen zugleich. Sein aktueller Wert liegt sage und schreibe 5 (in Worten: fünf) Kilo über dem, was seine Waage zuhause ihm signalisiert hatte. Und Waagen in Arztpraxen lügen nie, das weiss man!
Er habe dem Arzt angekündigt, er werde sein Messgerät daheim mit Schwung aus dem Fenster auf die Strasse schmeissen. Und zwar bei geschlossenen Fensterflügeln, wie er mehrfach betont. Und die Empörung zittert noch immer nach. Seine Waage hatte ihn hinters Licht geführt, ihn in falsche Sicherheit gewiegt, ihm das gute Gefühl gegeben, diesmal auf der sicheren Seite zu stehen, die Arztpraxis als Winner zu verlassen… und nun diese Demütigung!
Der Medicus hat ihn schonend aufgebaut. Das sei wohl ein Tages-Ausrutscher, über den man mit gutem Willen hinweg komme. Das nächste Mal dann wieder mit einem bessern Wert, und so. – Glück gehabt, überlebt… – Doch was nun mit der Waage im Badezimmer? – Ich habe nicht gefragt, ob man sie verstellen kann. Aber irgendwie müsste es ja zu machen sein, die 5 Kilo Differenz einfach dazu zu zählen. So wäre man sicher immer auf der guten Seite. Die Waage aus dem Fenster schmeissen – das bringt vielleicht kurzfrsitig emotionale Stressabfuhr, aber der Ärger über den Schaden folgt auf dem Fuss und wirkt nach. Also: positiv nehmen. Nächstes Mal die zehn Pfund von Anfang an drauf schlagen, das motiviert!