10/6 Objektiv
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 16:26 |
Wenn man so im Spitalbett liegt, wird man sich plötzlich der Tatsache inne, dass man von Subjekt zum Objekt mutiert. Man ist unversehens zum Gegenstand wissenschaftlicher Beobachtung geworden und unterliegt neuen Regeln und Ritualen. Nach zuverlässigem Terminplan werden nun Morgen für Morgen Blutdruck und Puls erfasst, Temperatur gemessen und Lebenssaft abgezapft (spannend zu sehen, wie sehr das Talent zur Blutentnahme der einzelnen Pflegerinnen variieren kann).
Es ist ja auch interessant im Sektor Begegnungen: früher gab es eine Verbundenheit in fast verwandtschaftlichem Sinne, als die Krankenschwestern einem noch geschwisterlich zugetan schienen… inzwischen haben sie den Status von Pflegefachfrauen erreicht, von denen es ganze Hierarchien und Spezialisierungen zu geben scheint… Wusste man früher mit Schwester Monika und Schwester Gertrud noch gut, in wessen Hände man war, gibt es heute auf den kleinen Täfelchen keine Vornamen mehr, nur noch Anfangsbuchstaben und den ausgeschriebenen Geschlechtsnamen… aber die freundlichen Frauen bleiben kaum so lange am Bett stehen, dass du Name und Funktion gleichzeit komplett lesen könntest. Das schränkt zum Glück die Fürsorge und die Hilfsbereitschaft nicht ein und man weiss trotzdem, egal, wer im Moment gerade Dienst hat oder im Turnus ist, dass man bestens aufgehoben bleibt.
Eine kleine Episode hat mir adipositasmässig zu denken gegeben. Ich habe unmittelbar nach dem Infarkt eingewilligt, mich für eine wissenschaftliche Studie zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet – vereinfacht gesagt – dass man mir in den nächsten Tagen mit einem neuerlichen Eingriff Stammzellen aus dem eigenen Knochenmark in die betroffene Herzgegend einspritzen wird, um zu beobachten, ob sich dadurch das Gewebe besser regeneriert. Es wurden verschiedene Patientengruppen gebildet, um die Resultate miteinander vergleichen zu können. Die Kontrolle dieses therapeutischen Prozesses erfolgt periodisch per MRI, also mit dem Magnetresonanz-Tomografen. Um ein Ausgangsbild zu erhalten, hat man mich letzte Woche für eine erste Aufnahme vorbereitet: wie seinerzeit Pharao Ramses II. wurde ich bandagiert und präpariert, auf dem fahrbaren Katafalk vor der Magnetröhre aufgebahrt, verkabelt, gepolstert und mit Messgeräten bestückt. Sogar einen Kopfhörer erhielt ich, um mich durch die unvergleichlichen Klänge von DRS 1 bei Laune zu halten… Als dann der Schlitten mit seiner aufgapackten Ladung per Knopfdruck in die Magenttrommel eingefahren wurde, fühlte ich mich aufs Neue seltsam beengt. Wie der Korkzapfen, den man in die Flasche presst, wurde mein Brustkorb zusammengequetscht und mit einem Panik-Laut konnte ich den Vorgang stoppen…
Sorry, sagte ich, ich habe schon öfters in voller Pracht in solchen MRI-Rohren gesteckt. Und wenn ich in den Prospekten des USZ lese, dass das Institut ganz vorne bei der Weltspitze mithalten will, dann denke ich doch, man müsste sich gelegentlich mit der Tatsache befassen, dass das Patientengut weltweit nicht nur älter sondern auch dicker und schwerer wird… Dies ist mir jedenfalls bei meinen verschiedenen Gängen zum EKG, zum Ultraschall und auch zur Caféteria aufgefallen: es gibt anteilmässig sehr viele ältere und übergewichtige Patientinnen und Patienten im Spital. Das Problem stellt sich schon heute, objektiv, nicht erst morgen.
Wie auch immer, die Studie wird nächste Woche fortgesetzt, vielleicht findet sich ein passendes Gerät in einer Privatklinik. Ich lasse mich die nächsten Tage noch gern verwöhnen und umsorgen auf dem Weg zurück.