9/6  Time Out

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 21:28

Kaum eine Formulierung wäre treffender als der Titel, mit dem der deutsche Komiker Hape Kerkeling seinen amüsanten Pilgerreisebericht überschrieben hat, den mir Anne bei ihrem Besuch zur Verkürzung meiner Zeit mitgebracht hat: Ich bin dann mal weg.

Ich hatte im Leben nicht damit gerechnet. Natürlich macht man sich ab und zu seine Gedanken, aber von all den klassischen Risikofaktoren traf auf mich keiner wirklich zu, ausser dass ich übergewichtig bin. Als ich deshalb am Pfingstmontagabend noch rasch auf den Hometrainer stieg, um zu einem TV-Film kurz den Kreislauf anzukurbeln, machte ich mir keine grossen Sorgen, als ich nach wenigen Minuten in der Speiseröhre eine Art Beklemmung spürte, wie wenn ich einen zu grossen Bissen ungekaut verschluckt hätte. Ich hielt an, atmete mehrmals laut und tief durch, bis das unangenehme Gefühl wieder verschwunden war. Dann ging ich zu Bett.

Als ich mich um fünf Uhr früh am Bettrand aufsetzte, um wie jeden Morgen zur Toilette zu gehen, da war die Beklemmung wieder da: nur um ein Vielfaches stärker, als hielte ein Schraubstock Luft- und Speiseröhre zusammen in der Klemme. Ich konnte kaum noch atmen, bloss in kurzen, hastigen Stössen. Kalter Schweiss lief an mir herunter, ich war unfähig mich zu rühren. War das nun ein Herzinfarkt? Kein eigentlicher Schmerz, kein Ausstrahlen in die Arme und andere Körper-Regionen… nur diese unheimliche Klammer, die mir die Luft abschnitt.

Fünfzehn Minuten später war die Ambulanz da. Spray auf die Zunge, eine erste Infusion, Ansetzen der Elektroden fürs EKG. Völlig wach erlebte ich mit, wie ich auf einen Stahlsessel geschnallt wurde, wie dieser Sessel auf Rollen durch die Wohnung geschoben und dann in schwankendem Schlingerkurs über die Aussentreppe nach unten zum Ambulanzfahrzeug gebracht wurde, mit einem offenbar genialen Transportsystem, das es den keinenswegs hühnenhaften Sanitäterinnen erlaubte, mein Gewicht sicher in die Tiefe gleiten zu lassen. Es regnete in Strömen.

Mit Blaulicht aber ohne Sirenengeheul fuhren wir durch den frühmorgendlichen Verkehr und ich weiss noch, dass ich der jungen Ärztin, die im Fahrzeug zugestiegen war, frech kam: als sie mich mit ziemlich schriller Stimme nach meinem Befinden fragte, sagte ich, ich hätte es vermutlich am Herzen und nicht an den Ohren, sie könne es sich ersparen, mich so anzuschreien. – Als wir kurz darauf bei der Notaufnahme im Universitätsspital eintrafen, stand die Equipe bereits draussen, wie man es aus den Filmen kennt, ich wurde auf eine Liege gebettet, im Galopp ging es durch den Gang um einige Ecken, plötzlich viel Licht, wiele Menschen, eine weitere Infusion… und dann reisst der Faden des bewussten Erinnerns ab.

Als ich, Stunden später, wieder zu mir kam, war ich in einen Kokon von Schläuchen und Kabeln eingesponnen, umgeben von blinkenden und zirpenden Bildschirmen. Besorgte und interessierte Menschen rund um mich und langsam realisierte ich, was geschehen war. Ich hätte, sagten die Ärzte, Glück gehabt. Es hätte sich um einen „grossen“ Herzinfarkt gehandelt, der in der Regel tödlich sei, wenn er jemanden am Arbeitsplatz, unterwegs oder beim Sport überrasche. In meinem Fall hätten die schnelle Reaktion (meine Frau hatte blitzartig den Notruf verständigt), der kurze Weg ins Spital und die Tatsache, dass ich quasi regungslos verharren konnte, mir das Leben gerettet. Und natürlich ist auch die perfekte Leistung des OP-Teams nicht zu vergessen, die wesentlich dazu beigetragen hat, dass ich dem Gevatter von der Schippe hüpfen konnte.

Zwei Wochen habe ich nun auf der medizinischen Station verbracht, umsorgt und gehegt von kundigem Personal, abgeschirmt und abgeschnitten von jeder Möglichkeit, ins Internet zu kommen. Daher auch der etwas knappe Eintrag „in absentiam“. – Danke für die Anteilnahme! Danke für die guten Wünsche, die mich trotzdem erreicht haben! – Nun bin ich zwei Tage im Urlaub. Am Sonntagabend geht es zurück ins Spital, zur Teilnahme an einer wissenschaftlichen Studie. Dann im Lauf der näcshten Tage direkt für drei bis vier Wochen in eine Rehabilitationsklinik. Es geht darum, das Leben wieder zu lernen.

Ab sofort wird weitergebloggt. Das eBalance-Team stellt mir leihweise einen Laptop zur Vefügung, so dass ich mich auch aus dem Spital und aus der Reha wieder melden kann. An Themen wird es nicht fehlen.