12/7  Fleischeslust

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:05

Wiederbegegnung nach 34 Jahren: auf arte habe ich heute Abend einen Film gesehen, den ich seit den Siebzigern in Erinnerung hatte, der mir aber nicht mehr in allen Details bewusst war und von dem gerade jetzt und in diesem Blog-Zusammenhang eine morbide Faszination ausgeht: La Grande Bouffe.

Im Rückblick haben wir damals nicht realisiert, mit welch prophetischer Weitsicht hier eine Gesellschaft gegeisselt wird, die sich aus scheinbarer Todessehnsucht in Völlerei und Wollust stürzt, um in einem Höhepunkt des Genusses aus dem Leben zu scheiden. Wobei das Zelebrieren dieser Lüsternheiten, in denen sich ja eine Fülle von verborgenen Sehnsüchten spiegeln, nicht einmal die zentrale Botschaft zu sein scheint. Vielmehr haben, mit heutigen Augen gesehen, die hintergründigen Boshaftigkeiten und Sarkasmen an Bedeutung gewonnen, Seitenhiebe, Parabeln und Gleichnisse für Zustände, an die wir damals, 1973, als der Film in die Kinos kam, noch gar nicht gedacht hatten.

Völlig neu und stark habe ich zum Beispiel den Schluss empfunden. Die vier Protagonisten haben die Schwelle zum Totenreich bereits überschritten, ihre Kadaver liegen wahllos verstreut oder sind vergraben, da kommt auf Bestellung der Lieferwagen aus der Metzgerei mit der Fleisch-Ration für den nächsten Tag, da niemand weiss, dass hier keiner mehr kochen und fressen kann… Wohin mit der Ware? wird die einzige überlebende, das Urweib Andrea Ferrèol, gefragt, und sie sagt: Ach, laden sie das Fleisch einfach irgendwo im Garten ab. Und so wird denn der eiweissreiche Rohstoff, edle ausgeweidete Rinderhälften, Schweinelenden, Wildbret, liebevoll im Park auf dem Gras und in den Bäumen verteilt… unterdem Gelächter der Metzgersburschen, die so etwas Irres noch nie erlebt haben, aber sie tun, wie ihnen geheissen wurde, und da liegen nun die toten Fleischklumpen in der Landschaft, während die Kamera zur Totalen zurückzoomt, unkenntlich, was vorher noch Mensch war, was Tier… Fleisch eben, das den Weg des Vergänglichen gegangen ist, zu Tode gekommen durch Masslosigkeit und Überdruss, aus Lust an der Lust verreckt… eine Facette nur des grossen unendlichen Stoffwechsels, von dem wir alle bloss kleine Teilchen sind.