6/8 Verkabelt
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 22:27 |
Das ist eine nachwirkende Kontrollmassnahme: ich musste mich heute, auf Veranlassung meines Hausarztes, der wiederum im Auftrag der Herz-Experten aus dem Universitätsspital handelte, bei einer spezialisierten Praxis für ein Dauer-EKG melden. Eine freundliche Dame nahm mich in Empfang, wog und vermass mich und platzierte schliesslich zehn Elektroden-Kleber an meiner Brust.
Nun sitze ich seit Mittag mit diesen zehn Plastern, die im Brusthaar leider unsympathisch zwicken und reissen (vielleicht wäre es doch besser gewesen, mir die Unannehmlichkeit des Rasiertwerdens nicht zu ersparen…). Und von jedem dieser Pflaster geht ein feiner Draht weg, der über einen verschiedenefarbenen Knopf befestigt ist und mein Inneres nach den Herzaktivitäten abhorcht.
Die Drähte münden in einen kleinen weissen Strang, der wiederum über einen Stecker in ein handliches Gerät führt, von der Grösse eines kleinen Walkman (das sind bzw. waren jene Dinger, mit denen man Musik hören konnte, bevor die MP3-Player und die iPods kamen). Das kaum handtellergrosse Gerät steckt in einer kleinen Tragtasche aus Segeltuch, und ein Display zeigt an, wie die Zeit verrinnt… 24 Stunden lang müssen die Kleber dranbleiben und die freundliche Dame hat mit Bedauern in der Stimme gemeint, ich dürfe zwar nicht duschen… aber waschen könnte ich mich schon.
Ich habe also keinen Vorwand, den inneren Schweinehund mal einen guten Mann sein zu lassen. Sonst solle ich meinen gewohnten Tätigkeiten nachgehen wie immer und mir allenfalls eine Protokollnotiz anfertigen, wenn ich etwas Aussergewöhnliches feststellen würde, wie zum Beispiel einen plötzlichen Schmerz, Schwindelgefühle, oder so. Aber bis jetzt ist das alles ausgeblieben. Ich habe auch darauf verzichtet, mir einen Horrorfilm anzusehen, bei dem mir das Blut in den Adern gefrieren und das Herz stillstehen müsste, denn ich möchte das Rehabilitationsbild ja nicht mutwillig verfälschen. Auch die Optionen, die mir mein Horoskop heute in Sachen Liebe in Aussicht gestellt hat, liess ich unausgeschöpft, man weiss ja nie, in welcher Form es sich, für Spezialistinnen entschlüsselbar, auf dem elektronischen Chip eingraviert hätte…
Die grösste Herausforderung des heutigen Abends liegt nun noch darin, die Nacht zu überstehen, ohne mich mit den Kabeln zu erwürgen und ohne im Schlaf die aufgeklebten Elektroden abzureissen… Am Ende führe ich mir noch einen Schlummertrunk zu Gemüte, das beruhigt.