13/9 Kühn geschaut
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 23:48 |
Altenverpflegung in einer Spezialresidenz im Jahr 2047: die PensionärInnen sitzen im Rollstuhl, auf Kommando ihrer Pflegerin, die adrett und freundlich mit den Fingern schnippt, nehmen sie im Takt aus ihrer Effektentasche eine Rolle mit Haushaltkrepp, einen gasmaskenähnlichen Mundschutz mit Einfüllstutzen, dann wird an jeder Maske ein Schlauch angeschlossen, die Pflegerin legt den Hebel an der Zapfsäule um, und durch die Schläuche fliesst das pürierte Menü 1 in die Münder der Alten: Spaghetti Bolognese mit geriebenem Parmesan. Nach zwei Minuten sind die Leute satt und weil man mit der Speisung in Verzug ist, werden Kaffee und Dessert grad im gleichen Gang durchgespült.
Schöne neue Welt? Alptraum? Hort der Glückseligkeit? – Nichts von alledem und alles zugleich. Es ist Karl’s kühne Gassenschau mit SILO 8, dem aktuellen Programm, das so erfolgreich ist, weil es so aberwitzig gut und besonders ist, dass es nächstes Jahr in Olten nochmals aufgenommen wird, der Vorverkauf läuft eben an. – Aber die Sache mit dem durchrationalisierten Essen ist nur ein winziges Element aus einem unglaublichen Spektakel, das nach bester Karl’s kühne-Manier im flammenden Inferno und totalen Desaster endet, nachdem ein Action-Stunt den andern gejagt hat.
Es ist müssig, die Geschichte zu erzählen, sie lebt von verträumter Poesie einerseits, von gnadenloser Satire und praller Fabulierlust auf der andern Seite, und wird getragen von hervorragenden InterpretInnen, die nicht nur ihre hinfälligen Figuren beklemmend lebensecht verkörpern, sondern darüber hinaus ein sattes Mass an akrobatischer Zusatzleistung erbringen. Ein faustisches Menetekel über den Umgang mit dem Alter und der Erinnerung an eine heile Welt, und ein verrückter Reigen von unerwarteten Performances, die zwischen Schock und Traum pendeln und sich am Schluss in ein wohliges Schaudern auflösen, weil wir ja alle noch da sind, älter vielleicht, aber noch nicht so ausgeliefert. Diese Darbietung ist ein Muss. Wer sie noch nicht gesehen hat, darf sie nicht versäumen. 2008 in Olten.