1/10 Schocktherapie
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 23:35 |
Seit einigen Tagen geistern die Bilder der ausgemergelten Französin Isabelle Caro (27 Jahre, 31 Kilo) durch die Medien: No. Anorexia. – Die Kampagne des für seine schockierenden Benetton-Werbebilder berüchtigten Fotografen Oliviero Toscani bewegt die Gemüter und verschafft der Protagonistin Zugang zu Talk Shows und Interviews. Das Sujet wird zum Selbstläufer, weil es diese brisante Mischung enthält aus Tabubruch, Voyeurismus, Mitgefühl und dem uralten egoistischen Überlebens-Reflex: Zum Glück bin ich nicht so…
Toscani habe – so wird er zitiert – den „nackten Körper benutzt, um aller Welt die Wirklichkeit dieser Krankheit zu zeigen, die in den meisten Fällen ausgelöst worden ist durch die Stereotypen, die von der Modewelt vorgegeben werden“. – Und es stellt sich wieder die alte Frage: Darf man das? Heiligt der Zweck die Mittel? Bringt die Aktion und das, was durch sie an Diskussionen und Auseinandersetzungen ausgelöst wird, wirklich irgendwem irgendetwas? Enststeht mehr Verständnis für die Not der betroffenen Frauen? Mehr Mitgefühl und Hilfsbereitschaft? Ändert sich etwas an den Voraussetzungen? An den physischen und psychischen Belastungen, die junge Menschen in die Isolation treiben können? Oder werden nur Vorurteile weiter zementiert?
Die Halbwertszeiten der Schock-Ereignisse werden immer kürzer. Eine Sensation jagt die andere und bevor wir uns überhaupt im Klaren sind, was wirklich damit bezweckt war, sind sie schon wieder vergessen. Nur die Reize müssen immer stärker werden, auch wenn sie nichts wirklich bewirken.