20/10 Lampenfieber
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 23:44 |
Heute Abend denke ich an Freund Rolf. Seit zwei Wochen treibt ihn eine Angst um und verdüstert seine Lebensfreude. Er, einer der bestausgewiesenen Western-Spezialisten unseres Landes, früher respektierter NZZ-Filmkritiker und Leiter einer städtischen Abspielstelle, liess sich dazu überreden, bei eines speziellen Filmmatinée am Sonntag eine kurze Einführung zu sprechen. Als Mann des geschriebenen Wortes sind ihm treffende Formulierungen zwar vertraut, aber offenbar nur, wenn sie zu Papier gebracht werden und dort stehen gelassen werden können. Sollen sie ihren Weg vom Papier oder aus dem Hirn über den Mund direkt zum Publikum nehmen, so lösen sie bei ihm das aus, was man unter darbietenden Artisten gemeinhin Lampenfieber nennt.
Nun ist Rolf, mein Aquafit-Partner und Leidensgenosse im stetigen Kampf mit dem und gegen das Gewicht, ja von Natur ein ansehnlicher Mensch, braucht sich nicht zu verstecken, könnte mit soignierter Würde und erfahrener Grandezza als die Ruhe selbst vor das Publikum treten, mit einem sanften Anhauch von Buddha ein wenig in sich selber ruhend, sicher im Wissen, dass keiner im Saal von dem Film, über den zu sprechen er sich anschickt, mehr weiss als er selber, dass also keiner ihm wird das Wsser reichen und am Zeug flicken können. Das müsste ihm eine souveräne Gelassenheit verleihen und ihn wie einen Fels im anbrandenden Interesse der Westernfans stehen lassen…
Aber ach: seit zwei Wochen hadert er mit sich selber, dass er nicht die Kraft gehabt habe, die Anfrage abzulehnen, dass er der Verführung des Lobes erlegen sei, mit dem man ihn geködert habe als den einzigen, der kompetent sei, dem brandaktuellen Filmereignis auf den Spuren eines klassischen Genres in seiner Gänze gerecht zu werden. Seit Tagen habe er des Nachts kein Auge mehr zugetan, klagt er, sich die Blamage vorgestellt, nicht die richtigen Worte zu finden…
Kurz, ich bin froh, dass morgen Sonntag ist, dass der schicksalsschwere Termin in Sichtweite kommt: 11.15 Uhr im Zürcher Kino Le Paris. Ich jedenfalls werde dort sein und ihm die Daumen drücken. Wir Dicken müssen zusammenhalten.