16/1  Die Beilage

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:20

Eine kleine Begegnung, heute, auf der Autobahn, hat mir zu denken gegeben. Unterwegs von Zürich nach Winterthur, etwa auf halber Strecke, taucht vor mir im leichten Nieselregen der massige Umriss eines Sattelschleppers auf. Hell golden leuchtet er durch den leicht diesigen Vormittag und ich erkenne, als ich mich nähere, grosse Kornähren, die auf dem Wagen, ihn ganz umspannend, abgebildet sind: ein mächtiges, prachtvoll wogendes Kornfeld… und ich rieche förmlich diesen erdigen Duft nach Sonnenwärme, das Gesunde und Heilsame, das als Kraft in diesen massiven Aehren steckt: Korn! Brotgetreide! Ich schmecke und spüre die krachende Kruste beim Reinbeissen, der würzige Geruch von warmem Gebäck steigt mir in die Nase, vollkorn oder weiss – Hauptsache es ist das gute, natürliche Brot, das direkt aus dem Ofen kommt!

Und irgendwo in meinem Innern trällert eine Erinnerung leise das blöde Lied vom „Bett im Kornfeld…“

Inzwischen bin ich nahe genug an den Wagen herangekommen, um ihn zu überholen und um zu lesen, was hinten und auf der Seite inmitten des wogenden und sonnengertränkten Kornfeldes auf weissen Täfelchen geschrieben steht: Schweizer Fleisch. – Das macht mich nachdenklich. Was hat ein Weizenfeld mit Fleisch zu tun? Klar, man hat diese Geschichten gehört, dass in Südamerika ganze Landstriche veröden, weil das Vieh dort den Einheimischen die Brotfrucht wegfrisst, damit es in andern Kontinenten als Super-Beef verkauft und geschmort werden kann… Aber Schweizer Fleisch?

Alles andere sei Beilage, heisst es im TV-Spot. Ist das Kornfeld also die Beilage? Oder hat es noch einen ganz anderen symbolischen Wert? Eine Botschaft, die mir mitgeteilt werden soll? Vielleicht der Zusammenhang zwischen der bodenständigen Grundlage unserer Nahrung und dem Luxusgut Fleisch? Wie lange ist es her, dass wir höchstens einmal pro Woche Fleisch auf den Tisch bekommen haben? Ein halbes Jahrhundert erst, und auch dann galt es einzuteilen. Das beste Stück bekam der Vater… zweimal schöpfen lag nicht drin. Und heute ist die Diskussion über Wursthaut zur Staatsaffäre geworden.

Ich bin längst von der Autobahn herunter und kurve an den einstigen Sulzer-Hochburgen vorbei… Fleisch und Korn spuken immer noch durch meine Gedanken und erst später entschlüsselt sich mir das Rätsel, beim Blick auf die Website des Fleischvermarkters Proviande: die Fleisch-Transporter symbolisieren rollende Speisekammern und „dokumentieren“ ein besonderes „Engagement für die Schweizer Landwirtschaft“. Gut zu wissen, wenn man unterwegs ist.