8/4 Schein-Fleisch
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 19:23 |
Nach der Medienkonferenz wurden Häppchen gereicht. Stehlunch stand auf dem Programm. Vorgestellt wurde eine Studie über die Bezüge von Stiftungsräten in der Schweiz. Zocken sie ab? Oder sind sie selbstlos-anoyme Wohltäter? Die Studie gab Entwarnung. Alles halb so wild, nach beiden Seiten. Das Schweizer Stiftungswesen ist kein Selbstbedienungs-Paradies und kein Abzocker-Mekka, es geht eigentlich ganz gesittet zu und die Bezüge – zumindest derer, die auf die Umfrage geantwortet haben – sind nicht unmässig. Ein beruhigender Befund, der allerdings, da war man sich einig, noch der vertiefenden Interpretation durch weitere Untersuchungen bedarf.
Aber darüber wollte ich eigentlich gar nicht schreiben, sondern über die Häppchen. Es waren kleine, gediegene Sandwiches, die als erste kamen. Dann folgten die Käse-Trauben-Spiesschen: niedliche Portionen, auf kurze Hölzchen gepfählt. Ein Raunen ging durch die erwartungsfrohe Essgemeinde, als viereckige Platten hereingetragen wurden, in denen knusprig anmutende Poulet-Stückchen mit gebratenem Speck aufgeschichtet waren: jetzt kommen die warmen Speisen!
Alles drängte hinrzu und langte nach den in ihrem Schmorsafte glänzenden Stücken – der Duft von Gebratenem kräuselte sich in die Nasen, die Augen wurden halb geschlosen, die Münder geöffnet… und schon vor dem ersten Biss stellte sich die Ernüchterung ein: was wie gebackenes Hähnchenfleisch vom Poulardenbeinchen aussah, war in Wirklichkeit ein Stück gebratener Blumenkohl, und die gerollte, knusprig-dunkle Specktranche entpuppte sich als getrocknete Tomate… dazu gab es Karotten-Stücke und Gurkenscheiben, schön gegrillt und auf kleine Spiesse gesteckt.
Der Moment der Erkenntnis war ein kleiner, aber vorübergehender Schock. Denn die Gemüseteile schmeckten vortrefflich, sie waren knackig und gut gewürzt und nach dem zweiten Biss hatte sich die Sensorik von der Erwartung auf die Wirklichkeit umgestellt: ein Festschamus für Vegetarier und ein Beweis, dass „gesundes“ Essen nicht langweilig sein muss, auch wenn andere es für „Beilage“ halten mögen.