9/5 Zuckerschnabel
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 23:22 |
Der französische Ausdruck für Leckermaul hat etwas Poetisches: „bec sucré“ (gezuckerter Schnabel). Zucker ist das Allerweltsmittel, um bittere Pillen schmackhaft zu machen, wie wir aus dem Musical Mary Poppins wissen. Und Zucker macht dick.
Die Weltgesundheitsorganisation gibt Richtlinien heraus, wieviel von welchen Nährstoffen im Blick auf einen gesunden Lebenswandel zu empfehlen sei. So wird klar ein reduzierter Salzverzehr gefordert (in der Schweiz liegen wir deutlich über diesem Limit) und auch beim (raffinierten) Zucker wäre eine Menge von maximal 50 Gramm pro Tag angesagt. Wie gross der Zucker-Anteil in einem Lebensmittel sein darf, das wird nicht festgelegt, man überlässt es dem Konsumenten, sich in sogenannter Selbstverantwortung zu organisieren. Der Lebensmittelindustrie wirft man vor, sie füge gern überall etwas mehr Zucker bei, weil er haltbar macht und den guten Geschmack verstärkt… man soll auf Zucker süchtig werden.
Dass die Industrie auch anders kann, wenn der Markt es verlangt, das zeigt ein interessantes Beispiel. Der amerikanische Lebensmittelkonzern Kraft Foods stellt Schoko-Bisquits der Marke Oreo her, die sich durch extreme Süsse und hohen Zuckergehalt auszeichnen. Als er dieses Produkt in China verkaufen wollte, stellte sich heraus, dass die Chinesen so viel Süsse gar nicht mögen. Und Kraft veränderte das Rezept, reduzierte den Zuckergehalt, worauf die weniger süssen Bisquits zum Marktrenner wurden…
Der Konsument hätte es also in der Hand. Im Moment wird er allerdings immer noch in die gegenteilige Richtung konditioniert: bei meinem gestrigen Einkauf im Supermarkt habe ich unter dem Euro 2008-Logo einen grossen Stapel von 850-Gramm-Gläsern Nutella gesehen. Auf ihnen prangen die Lose, mit denen Tickets zu gewinnen sind. Die Gläser sind so gross, dass man gezwungen ist, den langen Löffel zu nehmen, um aus ihrer Tiefe zu schöpfen. Wer grosse Packungen kauft, der isst auch mehr, das haben Studien schlüssig bewiesen. Und wer ein Zuckerschnabel ist, der hat ohnehin keine Chance auf Widerstand.