10/5 Pfingstochse
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 22:43 |
Dass es an Pfingsten Stau auf den Autobahnen gibt, das hat sich in unser Bewusstsein eingeprägt, seit wir uns in den Blechkisten vorwärtsbewegen. Und seit wir bewusst das Pfingstfest als ein kirchlich bestimmtes Element des Brauchtums wahrnehmen, geistert der Pfingstochse neben dem Stau durch unsere Vorstellung.
Aber was es mit ihm genau auf sich hat, davon hatten wir lange nur eine sehr undeutliche Wahrnehmung. Das einprägsamste Bild ist noch das von einem Ochsen, der am Spiess gebraten wird, zum Festschmaus an Pfingsten eben, und wie es mit Ochsen am Spiess so ist: es ist eine gewaltige Sache. Zuerst braucht es ein Stahlgerüst, das kräftig genug ist, die knappe Tonne Fleisch und Knochen zu tragen. Dazu eine Vorrichtung, die den Spiess zu drehen vermag, sei es mit einem Motor oder von Hand getrieben. Und das ist ein hartes Stück Arbeit, wenn das Tier einmal dran hängt. Sodann muss quasi am Vortag eingefeuert werden, mit hochwertigen und gut gelagerten Holzscheiten. Soll der Ochs am Abend verspiesen werden, muss er spätestens am Mittag über der Glut zu schmoren beginnen, langsam und stetig kreisend in den aufsteigenden Hitzewellen… Emanzipierte Ochsen kommen heute schon fertig ausgeweidet und in Silberfolie gehüllt, am Spiesse steckend zum Einsatz, so dass sie nur noch ins Gestell gehängt und gedreht werden müssen.
Die Kunst der Stierrösterei besteht darin, dass man genügend Geduld und Fingerspitzengefühl beweist, um das Fleisch so richtig zart garen zu lassen, dass es sich in saftigen Tranchen von den Knochen schneiden lässt, nicht zäh und ledrig oder gar bitter wird, sondern kross im Ansatz und mürbe im Biss. Es handle sich, sagen die Historiker, beim Verzehr des Pfingstochsen möglicherweise um die Erinnerung an frühere Tieropfer aus vorchristlicher Zeit. Das braucht mich nicht zu kümmern, solange der Bissen schmeckt. Aber wer, bitte, brät heute noch zu Pfingsten einen Ochsen am Spiess?