10/6  Kinder ausgegrenzt?

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:36

Das Migros-Magazin ist eine auflagenstarke Kundenzeitschrift. Es wirbt nicht nur für die Produkte, die der orange Riese in den Markt drückt, es erreicht mit seinen Beiträgen auch eine millionenfache LeserInnenschaft. Gerne lese ich jeweils die Hausmann-Kolumnen von Bänz Friedli, denn sie sind vom praktischen Leben abgeschrieben und wecken nicht nur Erinnerungen an eigene familiäre Vergangenheiten, sondern erweisen sich regelmässig als kluge und präzise Beobachtungen von Verhältnissen, ob diese uns nun gefallen oder nicht.

Diesmal nimmt Friedli die Empfehlungen der Schulbehörden bezüglich gesunder Znüni-Verpflegung unter die Lupe und stellt fest, dass diese nicht selten in einem gewissen Widerspruch stehen zur gelebten Ernährungspraxis bei schulischen Anlässen. Um ins Thema der übergewichtigen Jugend einzuführen, beschreibt er seine Beobachtungen in öffentlichen Schwimmbädern. Die bestehen unter anderem darin, dass es die dicksten Jungen seien, die auf die höchsten Sprungbretter kletterten, um mit gewaltigem Platsch ins Bassin zu springen. Als ich diese Kolumne las, hatte ich kurz gestockt und beim Lesen inne gehalten: hier wird ein an sich objektiver Tatbestand mit deftigen aber klaren Worten beschrieben. Tut der Autor damit den übergewichtigen Jungen Unrecht? Verunglimpft er sie in ihrem Freizeitverhalten? Will er andeuten, dass ein Kind, das deutlich zuviele Kilos auf den Rippen hat, kein Recht haben, auf Sprungtürme zu klettern und ins Wasser zu springen?

Wir haben heute auf der SAPS ein Mail von einer Leserin des Migros-Magazins erhalten. Sie hat sich über die Schilderung Friedlis geärgert, weil er damit die übergewichtigen Kinder in ein negatives Licht rücke und so zu ihrer Ausgrenzung beitrage. Und wir sollten von der Stiftung aus bei der Migros intervenieren. – Ich habe die Kolumne nochmals gelesen und auch eigene Beobachtungen im Schwimmbad Revue passieren lassen. Und ich habe diese Bilder auch vor dem inneren Auge. Allerdings sind es für mich nicht erbarmungswürdige, von Ausgrenzung betroffene Kids, die sich da am Bassinrand und auf den Sprungbrettern tummeln: mir fällt auf, dass diese Kinder eine stämmige Lebensfreude versprühen, wenn sie prustend ins Wasser tauchen, wo sie sich schwerelos bewegen können… Sie gehen mit ihrem Körpergewicht völlig unbefangen um, geradezu stolz, jedenfalls nicht, als wollten sie es aus Scham und Furcht vor Hohn verstecken. Noch nicht, jedenfalls. Und ich erinnere mich an andere Kinder, die ich kenne, die von einem bestimmten Gewicht an gar nicht mehr ins öffentliche Bad gegangen sind, oder, wenn es denn im Schulschwimmen sein musste, nur in ein grosses Badtuch gehüllt, bis zum Beckenrand…

Ich kann die Reaktion und den Ärger der Leserin intellektuell nachvollziehen. Es gehört sich nicht, dicke Kinder, die nichts dafür können, dass sie übergewichtig sind, in einem Text so explizit herauszustreichen… und gleichzeitig weiss ich vom Gefühl her, dass Bänz Friedli hier nur eine Situation beschrieben hat, die es in der Wirklichkeit gibt, und die man so oder auch anders deuten kann. – Was meinen Sie?