31/12 Bleigiessen
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 23:19 |
Es ist ein Brauch zum Jahreswechsel. Man hält ein blechernes Löffelchen über eine Flamme, gibt etwas silberglänzendes Metall hinein, wartet bis dieses geschmolzen ist und kippt die heisse Flüssigkeit in einen Behälter mit Wasser, wo sie allsogleich erstarrt und eventuell eine etwas bizarre Form annimmt. Diese kann man dann deuten und es soll ein Orakel sein für das kommende Jahr.
Der Brauch erfreut sich erstaunlicher Beliebtheit, auch bei aufgeklärten Leuten, denn er erlaubt, auf verspielte Weise seine Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen zu formulieren… womit man möglicherweise etwas näher bei den kommenden Ereignissen ist als mit dem Fassen von guten Vorsätzen, die man ohnehin nicht einzuhalten gewillt oder in der Lage ist.
Dieses Jahr habe ich in der Gebrauchsanleitung gelesen, dass man nicht mehr die gegossene Form als solche zu deuten versuchen solle, sondern dann man ein Licht zu installieren habe, vor das man dann die Bleifigur mit einer Pinzette hält, so dass ein Schattenbild auf die weisse Wand fällt. Nun dreht man den Guss so lange, bis der Schatten ein erkennbares Symbol ergibt, das sich dann deuten läst.
Wohlan: hier habn wir eine praxisnahme Umsetzung von Platos Hölengleichnis für jedermann. Schade bloss, dass die auf der Packung mitgelieferten Erklärungen eher banal und die vorgeschlagenen Formen sehr schlicht sind, à la Hammer = das Glück schmieden; Laterne = du hast eine Erleuchtung; Rakete = man will dich abschiessen…
Zudem bringen es die physikalischen Gesetzmässigkeiten mit sich, dass die meisten Bleifiguren aussehen wie eine ausgemergelte Giacometti-Plastik… und das wirft unsereinen dann wieder in eine Jahresenddepression, nachdem sich die feiertägliche Kost ohnehin schon erschwerend ausgewirkt hat.
Was ich bei der ganzen Sache zu wenig oder gar nicht bedacht habe, daran erinnert ein Internet-Eintrag: Blei ist eine an sich hochgiftige Substanz. Die Giess-Reste wandern in der Regel in den normalen Abfallsack… und von dort zurück in den Kreislauf der Natur bzw. in die Atemluft oder ins Grundwassen. Man sollte sie wie Sondermüll behandeln. Und wenn man meint, auf die paar Gramm, die man eben geschmolzen hat, komme es auch nicht an, dann täuscht man sich. Die Summe machts, wie bei den täglichen Kalorien.