28/11  unanständig

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 21:58

Es gibt ein Wort, das bis vor kurzer Zeit kaum jemand gekannt, geschweige denn verwendet hat. Aber seit ein Milchverarbeiter keine Kosten scheut, um uns den Begriff unter Verwendung etwas bedeppert wirkender Damen in die Hirne zu hämmern, hat er sich in unsere Alltagssprache geschlichen, als wäre es eine Seuche von ebenso drohender Gefährlichkeit wie die Schlattersche Pandemie: der Blähbauch.

In älteren Wörterbüchern kommt das Wort noch gar nicht vor. Und wölbte sich mal wirklich eine Bauchdecke, so war es entweder infolge einer redlichen Schwangerschaft, oder wegen Übergewicht, im Bernbiet einst Güggelifriedhof genannt. Und auch sonst konnte es sein, dass der Bauch sich etwas spannte, weil im Innern desselben ein Gärprozess im Gange war, die allernatürlichste Sache der Welt, logische Folge der Aktivitäten der Darmflora und -fauna, die da den Speisebrei zersetzte und die wertvollen Nahrungsbestandteile für den Verdauungsprozess aufbereitete.

Die Abgase, die auf diese Weise entstanden, wurden ganz natürlich abgeführt, mal lauter, mal leiser. Niemand hätte je daran gedacht, man müsse ein bestimmtes Milchprodukt essen, um die Bildung dieser Gase zu unterbinden… und doch, das zeigt der Blick in die älteren Wörterbücher, ging man nicht immer gleich unbefangen mit diesen Gasen um. Noch zu Luthers Zeiten war laute Entlüftung ein Zeichen von Wohlergehen und die Bestätigung, dass mit Genuss gegessen wurde. In meiner Jugend galt im Berndeutschen die Formel, mit jedem Gas-Auslass hätte man „dem Doktor einen Fünfliber abgespart“.

Im Englischen gehört der Luthersche Begriff zu den sogenannten „Four-Letter-Words“, wenn auch nicht in deren engsten Kreis. Jedenfalls erinnere ich mich, dass sich meine Landlady im Austauschjahr in England jeweils kaum vom Lachen erholen konnte, wenn sie auf dem Christophorus-Autoschlüssel-Anhänger eines deutschen Kollegen die Worte sah: „Gute Fahrt“… was sie genüsslich las als „good fart“.

Ein Synonym-Duden aus dem Jahr 1964 wartet mit einer ganzen Palette von launischen Umschreibungen und Beispielen auf, die ich meinerseits nicht alle gekannt habe, als da sind: sich unanständig aufführen ist gleichbedeutend mit: „Gas, das sich in Magen und Darm entwickelt hat, aus dem After hörbar entweichen lassen“; oder auch: „einen fahren, streichen, ziehen, fliegen, gehen lassen“. Da klingt „pupsen“ schon niedlicher… und vollends literarisch wird es, wenn der Geruch, der dabei entsteht, umschrieben wird mit: „einen toten Vogel in der Tasche haben“, oder „einen alten Schirm stehen lassen“…

Auf solcherlei sprachliche Eskapaden stösst man, wenn man nach einem einfachen und kostengünstigen Mittel gegen den televisionär beschworenen Blähbauch sucht, das simpel und schlicht darin bestenht, dass man die überschüssige Luft entweichen lässt. Aber eben, vor 40 Jahren galt das als unanständig…