8/6  Neulich, im Pub

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:41

Freund Rolf wäre an sich ein friedlicher Mensch, kulturliebend und dem Schönen und Guten zugetan, und überdies einer der besten Western-Kenner diesseits des Atlantiks. Aber seit ihm sein Arzt – der auch meiner ist – vom Biertrinken abgeraten hat, ist er ein anderer geworden. Wenn wir gemütlich in der Wirtsstube sitzen, bei einem grossen Glas Wasser und einem kleinen Glas Wein, dann argumentiert er über alles, was ihn und die Welt bewegt, mit sachlicher Ruhe und einer diskreten, verschmitzten Prise Humor.

Wehe aber, wenn sich jemand der Theke nähert und bei der Wirtin ein Bier bestellt, dann überfällt ihn ein lauernder Gesichtsausdruck. Mit zusammengekniffenen Augen verfolgt er, wie die gelbe Flüssigkeit in die Stange zischt, aufschäumt zur krönenden Haube, dann dem Besteller gereicht wird und wie dieser schliesslich genussvoll die Lippen spitzt, um sie an den Rand des Schaumes zu setzen, um den ersten Zug zu tun, mit sichtlichem Behagen und grosser Erleichterung.

Da schüttelt es Freund Rolf wie ein Krampf. Er verzerrt sein Gesicht zur Fratze, ballt die Faust und hebt sie in heiligem Zorn, knallt sie auf die Tischplatte… Er stöhnt den Namen des Arztes, erwürgen könnte er ihn, sagt es zwischen den Zähnen hbervor.

Mittlerweile hat sich der andere Gast nach draussen begeben, ins Openair-Fumoir, und das halbleere Glas ist Rolfs Blicken entrückt. Der beruhigt sich langsam, gewinnt wieder Kontrolle über sich und nimmt einen Schluck Wasser. – Ärzte leben gefährlich.