12/7  Fulminanter Start

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 18:06

Das Wetter gibt sich Mühe, nicht hinter der zentraleuropäischen Gluthitze zurück zu stehen, aber das Meer sorgt bei aller Wärme doch für stets angenehme Belüftung und was mir an Stockholm am meisten aufgefallen ist (bis jetzt), das ist die sagenhafte Disziplin, mit welcher die Automobilisen die für das Stadtzentrum verhängte 30 Kmh-Limite einhalten. Keiner drängt, keiner hupt, man lässt sich den Vortritt, als gäbe es Punkte fürs Höflichsein.

Wir sind eine Gruppe von acht Leuten, die von der Pharma-Firma Abbott AG aus der Schweiz an diesen Kongress delegiert wurden. Abbott hatte das Abnehm-Mittel mit dem Wirkstoff Sibutramin hergestellt, das vor einem Jahr weltweit vom Markt genommen wurde, weil sich dadurch das Risiko erhöht hatte, an Herzkreislaufproblemen zu erkranken… (obwohl im Beipackzettel ausdrücklich gewarnt worden war, dass das Mittel für HerzpatientInnen nicht geeignet sei). Die Adipositas-Profis beklagen unisono, dass es unverständlich sei, dass dieses Mittel gesperrt wurde. Bei anderen Krankheiten – zum Beispiel beim Krebs – nehme man gravierendste Nebenwirkungen in Kauf, um die Krankheit zu besiegen… aber Adipositas sei noch immer nicht als echte Krankheit anerkannt.

Der Kongress startete mit einigen Hoffnungssignalen: verschiedene Untersuchungen wurden präsentiert, die nachwiesen, dass sich die Adipositas-Prävention bei Vorschul-Kindern in mehreren Ländern positiv ausgewirkt habe, dass die bisher ansteigenden Kurven abzuflachen beginnen, dass sich möglicherweise gar ein Trend zur Umkehr abzeichne. Aber sicher kann man da noch nicht sein, dazu braucht es längerfristige Beobachtungen, vor allem über ein späteres Verhalten, wenn die „gebremsten“ Kids ins Erwachsenenalter kommen.

Dass wir diesmal am Internationalen Kongress sind, zeigt sich schon daran, dass viele der Teilnehmenden aus Asien und Afrika kommen, wo die Problematik nicht weniger dringlich ist als hierzulande. – Für Aufsehen und etwas Ratlosigkeit sorgte ein Exkurs über das Adipositas-Paradox: Zwar ist es unbestritten, dass Übergewicht mit einer ganzen Reihe von Begleiterkrankungen verbunden ist, welche die Lebensdauer der dicken Menschen verkürzen können und kostspielige Beandlungen erfordern. Aber gleichzeitig haben verschiedenste Studien gezeigt, dass Übergewichtige etwa nach einer Operation statistisch gesehen die besseren Heilungschancen haben als Normalgewichtige und dass die Dicken bei vielen Krankheiten eine längere Lebensewartung aufweisen. Das Risiko für die Gesundheit ist nach diesen Erkenntnissen am absolut grössten für die Untergewichtigen, die über keine Ressourcen und Reserven verfügen.

Noch weiss man nicht, weshalb das so ist. Und die Befunde sind konrovers. Denn absurd wäre es in der ganzheitlichen Bilanz, zu sagen, wer übergewichtig sei, sei generell gesünder. Aber die Dicken haben offenbar einen ausgeprägteren Überlebenswillen. Eine Umfrage nach der Diskussion hat gezeigt, dass die grosse Mehrheit der Experten nicht glaubt, dass dieses Paradox von dick und gesund real ist, sondern dass es sich dabei um eine interpretatorische Fiktion handelt… Wie auch immer: Hauptsache gesund!