28/2 Rache des Fettes
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 17:17 |
Wenn ich mich zurückerinnere, dann gab es in unserer Jugend Süssigkeiten nur höchst ausnahmsweise und an den hohen Festtagen. Ostern vor allem, mit den Zucker-Eilein und den Schokoladenhasen. Auf Weihnachten machte Tane Rosa ihre legendären Quitten-Bästli, kleine, aus Quittenmus ausgeschnittene Rhomben, einzeln in Cellophan eingewickelt und mit bunten Bändern abgeschnürt, und Mutter stellte eigene Paralinés her: war das ein Fest für uns Kinder! Zuerst musste die Schokolade fein geraspelt werden, dann wurde sie in einem Topf im lauen Wasserbad verknetet zu einem braunen Teig, der nicht zu flüssig sein durfte, unter Zugabe von Kirsch entstanden die Trüffs für die Grossen, die einen wurden in gemahlener Haselnuss gewendet, die andern in Puderzucker und die ganz hohe Schule waren die „Igel-Kugeln“, die zwischen den Händen so lange gedreht wurden, bis die äusserste Schicht durch die Wärem zähflüssig wurde und kleine, stachelige „Fäden“ zog… Diese Leckerein waren strikt zum Verschenken bestimmt, unsereins durfte davon nur sehr ausnahmsweise naschen, wenn etwa ein Stück – zufällig – zu Boden fiel, oder wenn am Schluss die grosse Schüssel ausgeleckt werden durfte.
Obwohl Süssigkeiten also Mangelware mit Seltenheitswert waren, kann ich mich nicht erinnern, dass wir sie jeamals als Belohnung für gutes Benehmen erhalten hätten. Zu diesem Zweck gab es einen Batzen, den man ins Kässeli tun oder ansparen konnte für ein lang ersehntes Spielzeug. – Wie wir es mit unseren eigenen Kindern hielten, ist mir nicht mehr gegenwärtig. Aber Schleckereien waren keine Raritäten mehr, es gab sie im täglichen Verzehr als quasi normale Nahrung, was wohl auch damit zu tun hatte, dass die Grosseltern eine Konditorei betrieben, wo es nicht nur Ausschussware gab, sondern wo Schokolade jederzeit frei zugänglich war…
Schokolade und Süssigkeiten als Belohnung für kindliches Wohlverhalten – das habe fatale Folgen, so erkannte eine britische Studie an 2’000 Personen, die nach ihrem Umgang mit Süssem in der Jugend befragt wurden. Wer regelmässig Schleckereien als Belohnung erhalten hatte, litt später viermal häufiger an Übergewicht. Sie waren auch doppelt so häufig unzufrieden mit ihrem Gewicht. 25 Prozent der Leute, die als Kind mit Süssigkeiten belohnt wurden, waren schon von klein auf übergewichtig… bei denjenigen, die keine süsse Anerkennung erhielten, waren es nur 6 Prozent.
Wir leben heute in einer Gesellschaft der Verfügbarkeiten. Eklatante Illustration dafür ist der TV-Werbespot einer Adress-Vermittlung mit einem Kind, das zwängt und schreit, damit der Vater ihm alles kauft, was es will… Mit Süssigkeiten kauft man sich frei. Aber nur vorübergehend. Die Rache des Fettes ist weniger süss.