16/8 Bauernschlaumeiereien
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 15:47 |
Es ist natürlich hart, in diesen Zeiten Bauer zu sein. Als ich vor nunmehr 60 Jahren den Grossteil meiner Freizeit auf dem Bauernhof verbrachte, was die Idylle noch weitgehend intakt wie in einem Gotthelf-Film. Vor dem Getreide-Wagen schnaubte das Pferdegespann, der mechanische Garbenbinder galt als Meisterwerk der Technik, bis er durch den ersten Mähdrescher abgelöst wurde, der wie ein vorsintflutliches Ungetüm über die Felder ratterte. Ein Traktor – ein blauer Einzylinder-Bulldog – wurde erst angeschafft, als die Pferde in einem heissen Sommer, erschreckt durch einen Brand im Stoppelfeld, durchbrannten und beinahe auf der Landstrasse zu Schaden kamen… Und im Kuhstall wurde zweimal täglich von Hand gemolken…
Was soll die Nostalgie-Romantik? – Bei meinem England-Aufenthalt in den 60er Jahren lernte ich die Farm-Industrie kennen: grossflächige Monokulturen, riesige Viehbestände, die nur noch industriell bewirtschaftet werden konnten, hochgerüstete Agrar-Technologie, die in Europa heute zur Norm geworden ist. Der Druck auf die konventionelle Produktion von „damals“ ist brutal gestiegen, das Bauernsterben ist zur traurigen Tatsache geworden, Jahr für Jahr geht die Anzahl der eigenständigen landwirtschaftlichen Betriebe zurück, der Spagat zwischen Landschaftspflege und Nahrungsmittel-Produktion wird immer schwieriger. Das Diktat der Grossverteiler im europäischen Markt immer gnadenloser.
Gleichzeitig wird der Bevölkerung nun bewusst gemacht, wie wichtig eine „richtige“, ausgewogene und möglichst naturnahe Ernährung für ihre Gesundheit wäre. Die Schweizer Bauernsame hätte die Chance, über neue Vertriebskanäle ihre Produkte möglichst direkt ab Hof zu den Verbrauchern zu bringen, im Dienste der Gesundheit unserer Bevölkerung… – Aber was tut der Bundesrat? Er schickt einen Entwurf zu einer neuen Landwirtschaftspolitik in die Vernehmlassung, in welcher von den Gesundheits-Aspekten mit keinem Wort die Rede ist… da geht es in erster Priorität um die ökonomischen Belange, um Garantien und Sicherheiten… um die Erhaltung des Status quo anstelle der Forderung und Förderung neuer, alternativer Lösungen.
Man möchte meinen, die Lobby habe den Entwurf eigenhändig geschrieben und fühlt sich erinnert an die Energie-Debatte „vor Fukushima“. In letzter Minute haben die in einer Allianz zusammengeschlossenen NGOs aus dem Ernährungs- und Bewegungs-Bereich das Alarmsignal betätigt und andere Fachgruppen haben nachgezogen. Jetzt hofft man auf eine zweite Vernehmlassungs-Runde. – Aber mit diesem Phänomen ist die Schweiz nicht allein. Auch in Amerika wird öffentlich die Frage gestellt, ob die Landwirtschafts-Politik am Ende mitschuldig sei an der Adipositas-Epidemie? Die US-Bauern würden dank der Erhöhung der Produktivität und dank der staatlichen Unterstützung ihre Produkte zu viel zu billigen Preisen in den Markt drücken, was die Leute dazu verführen würde, zu viel zu essen. Die Kalorien seien zu günstig geworden, Nahrung koste heute nur noch halb so viel wie vor 50 Jahren.
Das Ziel staatlicher Interventionen müsste es eigentlich sein, die Nahrung teurer zu machen und dadurch der Gewichtszunahme entgegen zu wirken… aber die Realität am Markt ist eine andere. So würde – sagen Experten – sich der Preis der Frühstücksflocken kaum verändern, auch wenn der Mais doppelt so teurer würde, denn der Anteil der Kosten für die Rohstoffe ist marginal im Vergleich zum sonst noch anfallenden Aufwand für die Herstellung des Produkts. Nur ein Fünftel des Ladenpreises geht zurück zum Bauern, der Rest wird aufgewendet für Transport, Produktion, Verpackung und Marketing…
Im Wettbewerb unter den verschiedenen Marken spielt der (günstige) Preis eine entscheidende Rolle. Und laufend werden neue Produkte mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt produziert und vermarktet, was letztlich zu Übergewicht und Adipositas führt. Sagt Margo Wootan, die Leiterin Ernährungspolitik im Center for Science in the Public Interest.