8/9  Lieber frei als willig

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 14:56

Es hat schon fast etwas von einer tibetanischen Gebetsmühle (die gelegentlich ja auch vom Wind angetrieben werden), wenn ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit sage, dass Massnahmen zur Adipositas-Prävention im Bereich der Lebens- und Genussmittel, die auf Freiwilligkeit beruhen, eigentlich nutzlos sind.

Das Prinzip Freiwilligkeit ist indessen in all unseren offiziellen Verlautbarungen und Strategien das A und O, weil sonst politisch gar nichts gehen würde. Von rechts bläst jeder Absicht, eine Regulierung im Interesse der gesunden Bevölkerung zu erlassen, ein extrem steifer Wind ins Gesicht, man muss nur sehen, mit welch wahnwitzigen Horrorszenarien etwa der Gewerbeverband gegen das geplante Präventionsgesetz agitiert.

Wie wenn es noch eines weiteren Beweises bedurft hätte, kommt ein Bericht aus England: hier hat eine Organisation (Children’s Food Campaign), die sich für die gesunde Ernährung von Kindern einsetzt, die Auswirkungen untersucht, die ein von der Regierung geschlossener „Pakt“ mit der Lebensmittelindustrie effektiv hat.

Im Rahmen des sogenannten Responsibility Deals konnten sich Produzenten auf freiwilliger Basis verpflichten, gewisse gesundheitsförderliche Massnahmen vorzukehren, wie etwa den Salzgehalt oder den Transfett-Anteil zu senken oder weniger Zucker zu verwenden, die Werbung an Kinder einzuschränken oder gezielt eine sportliche Betätigung zu fördern… (das ganze Konzept liegt genau auf der Linie, die auch unser Bundesamt für Gesundheit mit seiner actionsanté verfolgt).

Die Analyse ist heute erschienen in einem Bericht mit dem Titel „The Irresponsibility Deal – Why the Government’s Responsibility Deal is better for the food industry than public health“ (Der verantwortungslose Vertrag – warum die Vereinbarung der Regierung besser für die Lebensmittelindustrie ist als für die Volksgesundheit.) Und sie kommt zum ernüchternden Schluss, dass die ganze Aktion kaum Wirkung zeigt, weil sich viele Hersteller gar nicht daran beteiligen, weil sie zu wenig bekannt ist und weil zahlreiche Partner sie bewusst austricksen (etwa die Hersteller von Süssgetränken, die den Deal zwar unterzeichnet haben, ohne jedoch etwas zu unternehmen bezüglich der Tonnen von Zucker, die sie in ihre Drinks mixen, und sich lediglich damit begnügen, auf die Bedeutung von ausreichend Bewegung hinzuweisen…)

Im Wissen um die politische Brisanz, die hierzulande quasi zu einer Tabuisierung jeder Regulierung in der Food-Branche führt, haben wir die Einführung von actionsanté gewissermassen beschönigend als „Schritt in die richtige Richtung“ bezeichnet. Die Analyse aus England gibt unseren Zweifeln Vorschub.