29/1  Über die Gier

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:45

Als wir kürzlich im Kreis mit Adipositas-Operierten zusammensassen kam die Rede darauf, dass es nach dem Eingriff zu bestimmten Zeiten Phasen gibt, in denen die Essenslust erwacht, obwohl durch die Operation eigentlich die Voraussetzungen geschaffen sein sollten, dass man nur noch kleinste Portionen zu sich nehmen kann und dass sich das Sättigungsgefühl klar bemerkbar macht.

Woher das kommen könnte, wurde gerätselt, und was dagegen zu tun wäre. Eindeutige Rezepte wurden keine genannt, Mutmassungen angestellt, Theorien erörtert. Vielleicht, so die Hoffnung, könnte der Austausch mit einer geschulten Ernährungspsychologin Erhellung und Erkenntnis bringen.

Schon im Hinblick auf die Operation wird das Essverhalten „danach“ geschult, damit die Betroffenen keine Überraschung erleben und auch keinen Fehler machen. Langsam wird die Umstellung an die Hand genommen. Mit kleinsten Mengen pürierten Speisebreis wird der umgestaltete Magen sorgfältig an sein neues Funktionieren herangeführt. Geht dabei alles gut, kann es sein, dass beim Essenden die Zuversicht überhand nimmt, dass auch schon mal unbewusst etwas kräftiger zugelangt wird, ein grösserer Bissen in den Mund geschoben, etwas hastiger gekaut und heruntergeschluckt wird.

„Es frisst mer wider guet“ – so beschrieb eine Patientin einst im Gespräch diesen Zustand, in dem man genau wüsste, was man sollte bzw. nicht sollte… und dann doch anders handelt, gleichsam unkontrolliert, nicht absichtlich, es geschieht einfach, obwohl das Bewusstsein glasklar da ist, dass man es nicht sollte und auch gar nicht möchte.

Es ist, als gäbe es im Inneren eine verborgene Gier, einen Wunsch nach „mehr“, als Auslöser einer Aktion, die man verabscheut… zwangshaft muss gehandelt werden. So, stelle ich mir vor, muss Suchtverhalten sein, wenn der Organismus in eine fatale Abhängigkeit geraten ist. Dann wird jede Vernunft und jeder Wille ausgeschaltet und „es“ geschieht. Natürlich ist es immer noch der Mensch bei intaktem Bewusstsein, der da handelt. Aber vielleicht hat er etwas von seinem Wollen abgegeben.

Irgendwie ähnlich muss es sich verhalten mit der unersättlichen Gier nach „immer mehr“, nach mehr Geld, mehr Einfluss, mehr Grösse. Wie sonst könnten sich ausgewiesene Bankleute auf so hirnrissige Dieals mit amerikanischen Steuerflüchtlingen eingelassen haben, wenn nicht aus nackter, egoistischer Geldgier? Und wie elend muss es um die Moral jener Politiker bestellt sein, die noch immer die Schuld beim amerikanischen Staat sehen… Es ist eine besondere Kankheit, an der hier gelitten wird. So wie man zum erfolgreichen und nachhaltigen Abnehmen eine dauerhafte Umstellung des Lebernsstils erlernen muss, braucht es wohl für gewisse Kreise ein dauerndes Umlernen der Moralvorstellungen und der persönlichen Ethik. Vielleicht wird aber auch gelegentlch ein Gier-Gen in der DNA gefunden.