23/4 Durch Faulheit dick?
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 16:19 |
Es gibt Vorurteile, die sind nicht auszurotten. Da kann man aufklären und informieren, soviel man will. Mit schöner Regelmässigkeit erhalten wir Anfragen von Schülern oder AbsolventInnen besonderer Ausbildungsgänge, die für ihre Abschlussarbeit ein Thema aus dem Bereich der Adipositas gewählt haben. Die erkundigen bei uns dann nach Unterlagen, Dokumentationen, Literatur. Ab und zu wird auch ein Interview gewünscht. Und gelegentlich schickt jemand eine Reihe von Fragen ein.
Wenn ich jeweils solche Fragebogen beantworte, dann überlege ich mir, ob nun ich es eigentlich bin, der die Abschlussarbeit für die Jungen schreiben muss… denn mit Eigenrecherche – was ja eigentlich der Zweck dieser Arbeiten wäre – hat das ja nicht mehr viel zu tun, wenn die erste Frage etwa lautet: Was bedeutet der Begriff Adipositas?
Heute hat mich eine Fragestellung wieder mal aus dem Busch geklopft. Sie kam unter dem unschuldigen Deckmantel des Nichtwissens daher und ging folgendermassen: Gibt es für Menschen, die durch einen Gendefekt oder ein Medikament dick geworden sind, einen anderen Ausdruck, als für Menschen die durch Faulheit und übermässigen Konsum von Lebensmitteln dick geworden sind?
An sich wäre die Antwort ja einfach und kurz: NEIN. Jedenfalls nicht soviel ich weiss. Aber der Rest der Frage! „Durch Faulheit dick werden“ ist so etwa die verletzendste und diskriminierendste Kurzfassung des Problems, aber leider nach wie vor in weiten Kreisen als Vorurteil fest verankert.
Die Frage selbst impliziert doch schon eine Annahme: wer durch genetische Veranlagung oder als Folge einer Medikamenten-Einnahme übermässig an Gewicht zugelegt hat, der ist „unschuldig“, kann nichts dafür, dass er „es“ hat… Aber wer faul ist und unbeherrscht und zuviel frisst, den kann man auf seinem Selbstverschulden behaften, der könnte ja fleissig sein und so bescheiden speisen wie ein Vögelchen, wenn er denn nur wollte. Dass man für die beiden Situationen unterschiedliche Bezeichnungen wählen sollte, etwa „fremd-adipös“ gegen „selbst-adipös“, zeigt den Wunsch auf nach einfachen Lösungen mit klaren Verantwortlichkeits-Zuweisungen.
Dass die Wirklichkeit komplexer ist, differenzierter und nicht einfach schwarz/weiss, das wollen viele einfach nicht wahr haben. Und es braucht wohl noch einige Fragebogen, bis diese Zusammenhänge sich herumgesprochen haben.