27/10  Komasaufen

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 23:42

Man hat in den letzten Tagen wieder häufiger davon gesprochen. Der Vorstoss des SVP-Gesundheitsspezialisten, man solle die jugendlichen Komasäufer künftig ihre Pflege selber zahlen lassen, hat auf Kritikerseite den Vergleich mit den Übergewichtigen auf den Plan gerufen, die ja dann konsequenterweise auch zur Kasse gebeten werden müssten, was zu Recht jedoch im gleichen Atemzug verworfen wurde.

Gibt es im Pflegefall eine Bezahl-Gerechtigkeit nach Massgabe des „Verschuldens“? Oder soll weiterhin und ohne Ansehen des Grundes die Solidarität unter den Versicherten gelten? – Die Frage ist rhetorisch und müssig. Wer meine Argumentation kennt, weiss, dass ich für das vorbehaltlose Solidaritätsprinzip einstehe, das im Gesundheitswesen über alle sozialen Schranken hinweg eine einigermassen gleichwertige Grundversorgung erlaubt.

Ist das denn nun ein Freibrief für Jung-Alkoholiker? Eine Aufforderung an Halbwüchsige, sich mit harten Schnäpsen zuzudröhnen? Sich das Hirn aus dem Schädel und die Leber zu Fetzen zu saufen? – Nein. Aber der soziale Druck, die gemeinschaftliche Ächtung des Phänomens müssen erhöht werden. In Schule und Elternhaus muss den Jugendlichen klar gemacht werden, dass sie mit diesem Verhalten sich selber auf lange Sicht beschädigen und ihre Chancen auf eine berufliche Zukunft in Frage stellen.

Aber dann fällt mir sogleich ein, dass es ja noch gar nicht so lange her ist, da hat die Elite der Gesellschaft – oder doch ein Teil derer, das sich dafür hielten – einer organisierten Koma-Sauferei gefrönt, die nach festem Ehrekodex ihre Resultate mit blutigen Zeichen in die Gesichter der Praktizierenden schrieb… – Ich weiss, wovon ich rede, mein Grossvater war Arzt und am Anfang des letzten Jahrhunderts in seiner Verbindung als Paukarzt tätig, dem die Aufgabe zufiel, nach den Kämpfen auf dem studentischen Fechtboden die Schmisse wieder zuzunähen. Und mancher, ehe er zum Kampf antrat, musste sich Mut antrinken; man sagt, die spätere Farbe der verbleibenden Narbe sei ein Indikator für den Promillegahalt im Blut gewesen.

Und das waren die Herren Studenten aus den besten Häusern, die späteren Akademiker, Wirtschafts- und Staatenlenker, die sich solchen Exzessen hingaben. Wir stehen scheints wieder mal vor dem gleichen Problem, das viele Phänomene unserer Gesellschaft auszeichnet. So lange es sich auf einige wenige der Oberschicht beschränkt (das war mit dem Drogenkonsum ja nicht anders), haben wir kein Problem. Erst wenn es zum allgemein üblichen Massenverhalten wird und die Unterschicht erreicht, rufen wir nach einer Lösung.