22/6 Nur nicht sitzen!
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 17:34 |
Nein, ich bin nicht wie andere. Ich verlange nicht mit markigen Worten den sofortigen Rücktritt des Bahn-Chefs. Aber enttäuscht bin ich schon etwas.
Da habe ich heute das SBB-Jahrhundertwerk besichtigt, die viel gepriesene Durchmesserlinie. Mit der S-Bahn bin ich von Oerlikon in den HB gefahren, oberirdisch noch, von dort mit einem eleganten Schief-Lift in die Tiefe der neuen Einkaufsebene und von dort weiter hinunter zu den goldüberdachten Geleisen.
Eine wahrhaft eindrückliche Prunkbaute, grosszügig, hell und sauber, so weit das Auge zu blicken vermag. Rolltreppen, die an fremde U-Bahn-Stationen gemahnen, bloss dass sie durch schlichte Betonschächte führen, aber da kommt vielleicht noch was Schmuckes nach. Verschwenderisch breite Treppen für all jene, die sportlich zu Fuss gehen möchten, ohne gleich die Versuchung eines mechanischen Transports daneben. Wer nicht gut gehen kann, oder gar behindert ist, muss sich bis zur nächsten Beförderungsmöglichkeit schon ein wenig anstrengen.
Als unnötige Härte den Alten, Übergewichtigen und Gehbehinderten gegenüber empfinde ich, dass es im ganzen Gleisbereich tief unter der Erde (noch?) keine einzige Sitzgelegenheit gibt! Auf anderen Bahnhöfen stehen die genormten Bänke aus schwarzem Drahtgeflecht oder aus Metallrosten, die in Beton-Quader eingelassen sind… und wenn es sonst nichts gibt, kann man sich auf ein abgestelltes Gepäckwägelchen setzen, um etwas Kraft zu tanken für den Weg durch die immer weitläufigeren Katakomben-Anlagen…
Nicht so beim Luxusprunkwerk im Zürcher HB. Da stehst du dir die schmerzenden Beine in den Bauch und hoffst, dass der Zug etwas früher kommen möchte als angezeigt, aber umsonst, hier ist man pünktlich. Meine kühne Erwartung, es möchte irgendwo eine Überraschungs-Sitzgelegenheit verborgen sein, die wie von Zauberhand in Erscheinung tritt, sobald der entsprechende Sensor eine Person mit Steh- und Gehproblemen registriert, hat sich auch nicht erfüllt.
Im neuen Einkaufsbereich habe ich ganze zwei Marmorbänklein à je vier Plätze erspäht… kein Wunder, liegen in den winzigen Bistrots auf den Tischen Kärtchen mit der Aufschrift: Dieser Sitzplatz ist ausschliesslich für konsumierende Gäste reserviert!
Nachtrag: Später bin ich dann mit dem Zug durch die neue unterirdische Bahnhofshalle gefahren und habe festgestellt, dass weiter vorne, ausserhalb meiner Sichtweite vom sonntäglichen Abstecher, sehr wohl elegante sitzbänke aus marmor standen, quasi klassisch unter den Fahrplantafeln… und ich nehme also feierlich einen Teil von dem zurück, was ich über die Perronanlage geschreiben habe. Das für den neuen Shop-Bereich gilt allerdings nach wie vor.