9/1 Ein Abgesang
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 23:16 |
Es ist nur ein kleines Requiem. Schliesslich ist es auch nur ein kleiner Wagen: ein Wägelchen. Was haben wir in den Zügen darauf gewartet, dass „es“ vorbei kommt, von weitem schon mit einladendem Zuruf, wenn die automatische Wagentür aufgeht: „Kafimineraalsändwich!!!“ Und wenn man Glück hatte, kam es noch bevor der Intercity in Bern über die Brücke einfuhr, sofern man von Zürich her kam.
Die rollende Zugsverpflegung hat im Lauf der Jahrzehnte mehrere Wandlungen durchgemacht. Ich weiss noch, dass wir als junge Menschen sogar mit dem Gedanken gespielt haben, selber mal als Wägelischieber tätig zu werden, um in den Ferien das Sackgeld aufzubessern… aber die Firma hatte einen schlechten Ruf. Auf der Seite trugen die mobilen Verkaufstresen damals die Aufschrift „ENK“… was spöttisch ins Gegenteil interpretiert wurde: „Ein Netter Kerl“…
Der Adipositas-Spezialist Dr. Horber sagte mir einmal, wenn man in den SBB-Wägeli nur noch Sandwiches mit fettrerduziertem Streichbelag verkaufen würde, könnte man einen wesentlichen Beitrag gegen die Übergewichtsepidemie leisten. Ich kannte zu dieser Zeit den Chef des Unternehmens aus dem Militärdienst und leitete das Anliegen weiter…
Die Revolution fand statt, als die Wägelchen umgerüstet wurden zu High-Tech-Transportern, die sich mit Laserlicht ihren Weg durch die engen Passagen zwischen den Sitzen bahnten und die vor allem über Kaffeekapsel-Maschinen verfügten, so dass die elende Filter-Plörre einem guten Espresso Platz machen konnte…
Und nun soll es also fertig sein mit dem Wägeli-Service in den Intercity-Zügen. Kein Wunder, wurden doch in den letzten Jahren die Bahnhöfe rgelrecht überschwemmt und zugebaut mit Take-Aways, Futterständen, Wurstbuden, Kaffee-Buchten, Donut-Läden, Brezelkönig-Shops und amerikanisch angehauchten Futter-Verkäufern ohne Zahl.
Der flächendeckende Ausbau der Verpflegungsmöglichkeiten in unseren grossen Bahnhöfen ist für mich das erschlagende Symbol für die hemmungslose Verführung zu immer mehr Kalorien-Konsum „on the road“ und letztlich das Abbild einer verfetteten Reisegemeinschaft. – Kein Wunder, sind da die kleinen, bescheidenen Wägelchen buchstäblich auf der Strecke geblieben.