28/4  Brüderchen im Hosensack

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 15:00

Ich bin zwar für den Fortschritt aufgeschlossen. Aber im Umgang mit den digitalen Hilfsmitteln bin ich vorsichtig konservativ. Ich habe mich zum Beispiel lange dagegen gesträubt, von meinem schon fast antiquarischen Nokia-Handy auf ein smarteres Phone umzusteigen, weil ich mich mit meiner Identität nicht mutwillig der freien Daten-Wildbahn aussetzen wollte…

Freilich, jetzt, wo der Wechsel längst vollzogen ist, könnte ich mir das Leben „ohne“ kaum noch vorstellen. Aber ich bleibe sehr restriktiv, was den Umgang mit allfälligen Apps betrifft, von denen ich mir keine einzige heruntergeladen habe, einerseits weil ich mir keine akkuleerenden Läuse in den Pelz setzen will und anderseits, weil ich nicht weiss, wer mit meinen Daten dann welchen  Unfug treiben könnte.

Heute habe ich quasi aus Langeweile ein wenig auf dem Display herumgetippt und bin dabei auf ein Icon mit einem kleinen Herz gestossen. Was ich in einem Anflug von falscher Hoffnung für den eventuellen Zugang zu einem Dating-Portal hielt, entpuppte sich bald als ein Werkzeug zur Ausspionierung meines gesundheitsrelevanten Verhaltens: wie viele Schritte hast du heute gemacht? welche Distanz hast du dabei zurück gelegt? und wie viele Treppen bist du hochgestiegen?

Das hatte ich bisher gar nicht gewusst, dass da in meiner Tasche ein kleines Big-Brother-Teufelchen sass, das – ohne mich je gefragt zu haben – akribisch jede meiner Bewegungen erfasste und und registrierte. Daraus erstellt das Rechnerlein eine Übersicht pro Tag, eine wöchentliche oder eine monatliche Bilanz… Und ich ertappte mich dabei, dass ich sofort begann, die Zuverlässigkeit des elektronischen Protokolls zu überprüfen.

Tatsächlich! Gestern war ich in Bern, in den Bahnhöfen musste ich zweimal die Treppe zu Fuss hoch – und beides war sauber registriert. Die Anzahl der zurückgelegten Schritte war plausibel, obwohl sie mir höher erschien, als ich angenommen hatte. Und die absolvierte Strecke entsprach auch in etwa meiner räumlichen Wahrnehmung.

Nun bin ich also digital vermessen und registriert. Ob meine Daten irgendwo in einem Welt-Gesundheits-Speicher geparkt werden und ob ich am jüngsten Tag dann eine Quittung erhalte, mit der Aufforderung, die noch fehlenden Kilometer auf einem Wolken-Parcours abzuspulen, ehe ich mich zur ewigen Ruhe setzen darf – ich weiss es nicht. Aber auf jeden Fall habe ich digitales Blut geleckt und spiele bereits mit dem Gedanken, das neue Tool aktiv zu nutzen und bezhüglich Treppensteigen und zu Fuss gehen bewusst zuzulegen… womit der Zweck denselben erfüllt haben dürfte.