4/7  Hallo, Darm!

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 15:38

So betrachtet hatte ich mich noch nie. Aber das kam erst zuletzt. Angefangen hatte es mit dem Aufgebot zu einer Magen- und Darmspiegelung, um abzuklären, ob bei meinem Gewichtsverlust alles mit rechten Dingen zugehe oder ob es da eventuell noch andere, verborgene Ursachen gebe. Vorangegangene Tests waren offenbar noch nicht ausagekräftig genug bzw. liessen keine definitiven Schlüsse zu, deshalb galt es nun, einen direkten Augenschein zu nehmen, am Ort des Geschehens.

Am Vortag die Sache mit dem Reinigungstrank: Ich hatte es mir aufgrund von Schilderungen Dritter schlimmer vorgestellt. Nachdem ich das weisse Pulver in einer Petflasche mit Wasser aufgelöst und in den Kühlschrank gestellt hatte, vollzog ich das Trinkritual buchstabengetreu gemäss der schriftlichen Anleitung und nahm das eiskalte Gebräu in grossen Schlucken direkt aus der Flasche zu mir, als wäre es ein Bier in der Sommerhitze…

Drei Stunden später gab der Darm her, was er zu bieten hatte, mit der Konsequenz, dass ich es abends nicht mehr wagte, richtig einzuschlafen, aus Angst vor einer unkontrollierten Entleerung. Und als ich dann doch nach Mitternacht kurz vor dem Bildschirm entschlummerte, war es eindeutig zu spät, als ich wieder erwachte.

Noch vor dem Morgengrauen der zweite Liter, jetzt sprudelte das Wasser fast klar aus dem rückwärtigen Quell und ich hatte die Gewissheit, mit absolut gesäubertem Innenleben vor den Herrn Doktor treten zu können. Schliesslich war ich ja auch schon seit über zwanzig Stunden nüchtern.

Der Empfang in der Praxis war freundlich. Nachdem ich zum gefühlten x-ten Mal den etwa gleichlautenden Fragebogen über gehabte und geheilte und vererbte Krankheiten ausgefüllt hatte und beim Arzt noch einmal Gelegenheit bekam, die gleichen Fragen auch noch mündlich zu beantworten, ging es zur Behandlung. Eine überaus freundliche Praxishilfe leitete mich an, ich zog mich aus und schlüpfte in eine federleichte Unterhose aus Papier, sie setzte eine Infusion, betäubte mit Spray mein Halszäpfchen und bettete mich sorgfältig auf einen schmalen Schragen, sicherte mich mit einem Gitter und schob mir einen Plastik-Schoner zwischen die Zähne, so dass ich mir vorkam wie Muhammad Ali selig…

Ich sah noch, wie der Doktor in seinem grünen Gewand ins Zimmer kam. Kurz darauf wurde mir das Mundstück wieder weggenommen und ich fragte mich, weshalb… Dann hörte ich eine Stimme: „Sagen Sie Grüezi!“ Ich sagte: „Grüezi“. Die Praxishilfe unterstützte mich beim Aufsitzen auf dem Rand der Liege und bat mich, aufzustehen. Das ging überraschend gut. Nachdem ich mich angezogen hatte, suchte ich weisungsgemäss den Arzt in seinem Büro auf. Der zeigte mir auf dem Bildschirm die Innenansicht meiner Speiseröhre, meines Magens und meines kompletten Dickdarms, immer schön abschnittsweise, Bild für Bild, mit fachlicher Erläuterung und dem Fazit, dass sämtliche Teile meiner inspizierten Innereien kerngesund und in bester Verfassung seien.

Für Sekunden durchfuhr mich ein unbotmässiger Gedanke: was, wenn das gar nicht die Bilder aus meinem Inneren wären, sondern beliebige Aufnahmen eines topfitten Menschen, mit denen man mich nur in Sicherheit wiegen wollte….. aber dann sah ich am Bildrand eingeblendet meinen Namen, sogar korrekt geschrieben, mit dem aktuellen Datum und der Krankenkassen-Nummer… und der hinterlistige Gedanke war gelöscht.

Es sei alles in bester Ordnnung, sagte der Arzt, er werde seinen schriftlichen Bericht umgehend verfassen, eine irgendwie geartete Ursache für einen unkontrollierten Gewichtsverlust sei nicht ersichtlich, darauf könne er mir eine Garantie von zehn Jahren geben! – Ich hoffe, sagte ich, dass der Rest meines Ichs sich verpflichtet fühle, diese Garantiefrist einzuhalten. Und ging frohgemut von dannen, mit dem Vorsatz, den lieben guten Magen und seinen Darm bei nächster Gelegenheit dankbar wieder zu füllen…


Ein Kommentar zu “Hallo, Darm!”

  1. Der andere Heini sagt:

    Ich habe leicht amüsiert Deinen Bericht gelesen. Er hat mich sehr an die Texte meines Bruders sel. erinnert, der auch in der Lage war aus nichts eine wunderschöne Geschichte zu schreiben. Und Gratulation, dass für Duch alles gut ist.

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