10/8 Die gelbe Pest
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 17:54 |
Über Nacht waren sie da. Überall. Die silbrig-gelben Dinger, die man von ferne für gute alte Pöstler-Velos halten mochte… Rudelweise standen sie bei den Bahnhöfen, an Fahrrad-Abstellplätzen, vor Warenhäusern… Und bald waren sie auch in den Schlagzeilen. Die Mietvelos aus Schanghai, oBikes genannt, mit einer App auszulösen für CHF 1.50 pro halbe Stunde. Ich habe noch keines ausprobiert. Offenbar muss man zuerst einen Geldbetrag überweisen, als „Guthaben“ gewissermassen, von dem dann die Benutzungsgebühren abgebucht werden.
Nicht, dass ich etwas gegen Velos hätte. Ich bin mit Zweirädern aufgewachsen, habe mir als Knirps per Laubsäge, Besenstiel und Holzscheiben ein improvisiertes Dreirad selber gebastelt, bin beim Vater auf der Rahmenstange sitzend mitgefahren und habe gelernt, wie man „quer“ in die Pedale beim Herrenvelo treten kann, wenn man zu kurze Beine hat, um auf dem Sattel zu sitzen (eine Technik, die heute wahrscheinlich verboten ist und unweigerlich die KESB auf den Plan rufen würde oder die Polizei). Meine Tanzstunden-Partnerin habe ich auf dem Gepäckträger nach Hause chauffiert und aus einem schweren alten Raleigh-Modell (mit Brems-Gestänge und Kettenkasten) habe ich mir mit aufgeschweisster Verstärkung und schwarzer Farbe eine Art Panzer-Velo namens „Centurion“ konstruiert, sogar mit einem Tarnlicht-Scheinwerfer…
Ohne meinen Flyer hätte ich meine „schwerste Zeit“ mit den 180 Kilo nicht überstanden, er war mein Transportmittel für alle Strecken zwischen 20 und 1’000 Metern, von der Haustür bis zur Tramstation, ins Büro oder zum Einkauf auf den Marktplatz…
Aber die neuen China-Bikes irritieren mich: sie wirken klobig mit ihren Vollgummireifen, dem einen und einzigen „Gang“, den rudimentären Kotflügeln und einer Fertigung, die an billige Kindervelos erinnert. 900 Stück sollen es bereits in Zürich sein, weitere Städte stehen auf der Wunschliste der Anbieter.
Digitale Hightech macht es möglich, die Zweirad-Flotte aus der „Cloud“ zu überwachen, aber letztlich handelt es sich um herrenlose Gegenstände, für die niemand Verantwortung tragen muss. Man kann sie anonym nutzen und irgendwo wieder stehen lassen. Wie weit die zwei Personen, die sich offenbar um die stadtweite Instandhaltung kümmern sollen, ihre Aufgabe erfüllen können, muss sich im Verlauf der Zeit erweisen.
Ob sich die gelbe Offensive für die weitere Entwicklung des – an sich höchst begrüssenswerten – Velo-Verkehrs in unseren Städten positiv auswirken wird, bleibt abzuwarten. Auf persönliche Erfahrungen von BenutzerInnen darf man gespannt sein.
Gibt es schon welche?