12/11  Calligrafie

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 22:40

Es ist ein schlechtes Wortspiel, zugegeben. Und würde mir eigentlich gar nicht zustehen. Aber es drängt sich mir unerbittlich auf. Da habe ich zufällig in eine Kochshow reingezappt, von der Art, wie sie nur Kommerzsender zu produzieren vermögen, wo zwei Köchinnen im Wettstreit um Sekunden aus Randen und Couscous eine Speise zaubern musstren, die nicht nur gut aussehen sondern auch noch schmecken sollte. Eine Jury verkostete das Resultat, bestehend aus einer ehemaligen Spitzenköchin, einem bekennenden Feinschmecker und eben ihm: dem gewesenen Fussball-Manager Reiner Calmund, genannt Calli.

Calli ist der Vorzeige-Dicke in den deutschen Trivialmedien. Hier nimmt man ihn als Vielfrass wahr, der sich dickgefuttert hat, ein Gourmand, kein Gourmet. Seine Wertung wirkt denn auch nicht, als wäre sie von einer besonderen Sensorik bestimmt, er mimt den Verfressenen, kokettiert mit seiner Essenslust und zementiert so alle Vorurteile, die man dicken Menschen gegenüber hegen mag. Auch er landet in der Falle der „lustigen Dicken“, gibt den fröhlichen Falstaff so richtig von Herzen…

Mit Schrecken ertappe ich mich dabei, wie mir bösartige Gedanken durchs Hirn zucken: muss das sein, dass sich ein Adipositas-Kranker so mutwillig zum Affen macht bzw. machen lässt? Wem tut er damit einen Gefallen? Ist er ein Botschafter für die Übergewichtigen, der zu verstehen gibt, dass man auch mit krankhaftem BMI Spass am Leben haben kann? Und gleichzeitig versuche ich mich daran zu erinnern, wie ich selber noch unlängst in der gleichen Gewichtskategorie gefangen war, keine Hemmungen hatte, mich den Medien zu präsentieren.

Vielleicht ist es wichtig, dass das Publikum das gewichtsmässige Anderssein zur Kenntnis nehmen und sich damit auseinandersetzen muss. In diesem Sinne sollten wir Callis Beitrag doch als ein Bekenntnis verstehen zu sich selbst und seinem Gewicht, und müssten unsere Vorurteile, auch die unbewussten, überwinden und beiseite legen können.