29/1  Kühne Gesamtschau

Kategorie: Allgemein    Von Heinrich von Grünigen um 14:31

Man müsse „gross denken“. Dann vor allem, wenn es darum geht, die weltweite Adipositas-Epidemie zu bekämpfen. Und zwar in sehr grossen Zusammenhängen. Und übegreifend: denn die weitere weltweite Ausbreitung von Adipositas könne nur dann eingegrenzt werden, wenn gleichzeitig auch zwei weitere Bedrohungen wirksam angegangen würden, nämlich der Welt-Hunger und der Klima-Wandel.

Das fordert eine internationale Expertengruppe von 43 Gesundheits-Spezialisten aus 14 Ländern in einem Bericht, der am Sonntag in der medizinischen Fachschrift The Lancet publiziert wurde. Er trägt den Titel: The Global Syndemic of Obeity, Undernutrition, and Climate Change.

So gewagt dieser Ansatz auch scheint, die Experten halten ihn für realistisch. Aber wenn man ihn realisieren will, bedingt dies ein komplettes Umdenken und eine Neu-Orientierung in allem, was die heutige Produktion und Vermarktung von Lebensmitteln betrifft. Es braucht völlig neue Lösungen für die weltweiten Transportsysteme und es bedingt, dass die KonsumentInnen bereit sind, für diese neuen Produkte einen fairen Preis zu zahlen. Vor allem aber brauche es Regierungen in allen Ländern, die den Mut haben, sich mit neuen Gesetzen gegen die multinationalen Produzenten von „Big Food“ zu stellen.

Die Zahlen sind erdrückend: rund zwei Milliarden Menschen leiden weltweit an Übergewicht und Adipositas und trotz der Kostenexplosion im Gesundheitwesen hat noch kein Land eine Strategie gegen die weiter zunehmende Fettsucht gefunden. 815 Millionen Menschen leiden weltweit an Unterernährung und 200 Millionen Kinder sind von Armut und Hunger betroffen. Die Art und Weise, wie heute Nahrung produziert wird, beschleunigt den Klima-Wandel und führt zunehmend zu Naturkatastrophen. Es muss ein globales, gesellschaftliches Umdenken stattfinden, sagt die Expertengruppe.

Dieses Umdenken müsse im Kleinen beginnen (etwa durch die Einführung einer Zuckersteuer) um in der Summe weltweit Wirkung zeigen. Die ganze Lebensmittel-Versorgung müsse ähnlich rigoros geregelt werden wie der Tabak-Konsum, vor allem, was das schrankenlose Marketing betrifft.

An drei Beispielen illustriert ein Bericht in der Los Angeles Times diese übergreifenden Zusammenhänge: die Automobilität begünstigt unseren Bewegungsmangel und damit das Übergewicht, und produziert bis zu 25% des Treibhausgases; der exzessive Weizen- und Mais-Anbau führt zu hochverarbeiteten, dick machenden Lebensmitteln und verursacht gleichzeitig bis zu 30% des Treibhausgases; die Fleisch-Produktion führt zu Waldrodung und heizt damit den Klima-Wandel an, die intensive Viehwirtschaft ist die Folge von zu hohem Fleischverzehr, der wiederum Übergewicht begünstigt, während das gestörte Klima in Schwellenländern zu Naturkatastrophen wie Trockenheit und Überschwemmungen führt, was für arme Völker Hungersnöte bedeutet.

Angesichts dieses Panoptikums – dafür wird neuerdings der Begriff „Syndemie“ verwendet, ein Zusammenzug aus „Synchron“ und „Pandemie“ – möchte man sich wünschen, dass weltweit möglichst viele Gretas auftreten und mit jugendlicher Kraft zum Massenprotest anfeuern…