14/4 Analog-Käse
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 17:47 |
Eine meiner intensivsten kulinarischen Erfahrungen habe ich vor Jahren im Militär gemacht. Es war in einem Kaderkurs im kleinsten Rahmen, zehn Leute waren wir, unterwegs im Wallis, und an einem der Abende machten wir Zwischenhalt in einem Lokal, das für seine Raclette bekannt war. Das Besondere daran: es wurden portionenweise unterschiedliche Käsesorten gereicht aus den verschiedenen Seitentälern des Wallis, aus dem Val d’Entremont, dem Val d’Anniviers, dem Turtmanntal, dem Matter- und dem Saastal, dem Lötschental und auch aus dem Goms… mehr als ein halbes Dutzend sind es gewesen. Und jede dieser Käsesorten hatte ihren ganz spezifischen Geschmack und eine eigene Konsistenz und Farbe, wenn sie geschmolzen auf dem Teller lag. Das komme von den unterschiedlichen Kräutern, die die Kühe fressen, und auch von der individuellen Art, wie die Käser auf der Alp die runden Laibe zubereiten, lagern und pflegen. Im Lauf des Abends lernten wir die einzelnen Sorten daran zu erkennen, wie sie im Munde zergingen, wie sie sich mit der Gabel teilen und wie sie sich beissen liessen. Es war ein – man sieht es! – unvergessliches Erlebnis der Sinne und des Geschmacks, zumal noch zu jeder Käsesorte der passende Wein gereicht wurde.
Ich singe dieses Lob des handgemachten Naturkäses, dessen Spur sich vom Grasbord am Berghang bis in den Raclette-Ofen und auf den Teller lückenlos rekonstruieren lässt, vor dem Hintergrund einer grauslich anmutenden Käsegeschichte, über die das ZDF letzte Woche in seiner Verbrauchersendung Frontal21 berichtet hat. Es geht um sogenannten Analog-Käse, auch Kunst-Käse genannt. Ein synthetisch hergestelltes Produkt, das aussieht wie Käse, schmeckt wie Käse, riecht wie Käse – aber sonst mit dem Milchprodukt nichts zu tun hat. Es besteht aus Eiweisspulver, Wasser, Pflanzenfett und Geschmacksverstärkern und Aromen und ist innerhalb von 20 Minuten verzehrfertig produziert, hat nie einen Grashalm, keine Kuh und schon gar keinen Käser gesehen… ist günstig in der Herstellung, haltbar, lässt sich auf 400 Grad erhitzen, ohhe zu verbrennen, was bei der industriellen Fertigung von Tiefkühlpizzas und für den Export von grossem technischem Vorteil ist.
Das Produkt ist von der Lebensmittel-Gesetztgebung durchaus zugelassen, es darf sich nur nicht „Käse“ nennen bzw. sollte entsprechend deklariert sein, was es – laut dem ZDF-Bericht – in vielen Fällen allerdings nicht ist: Kontrollen hatten ergeben, dass ein Drittel von untersuchten Käsebrötchen solchen Kunst-Käse enthielten, ohne dass dies bei der Inhaltsangabe vermerkt war… – Schätzungsweise 100’000 Tonnen dieses künstlichen Billig-Käses würden in Deutschland pro Jahr produziert. Ob und wie viel davon auch zu uns in die Schweiz gelangt, wissen wir nicht. Es dürfte sich lohnen, Fertigprodukte kritisch unter die Lupe zu nehmen.