10/7 Loch im Bauch
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 23:50 |
Heute habe ich beim Halt an einer Ampel kurz ein Plakat ghesehen. Es warb – so viel wurde mir klar – für eine Bäckerei oder Konditorei. Abgebildet war so etwas wie eine Crèmeschnitte, daneben der Name der Firma. Und in grossen Lettern, plakatfüllend, darüber die Worte: Ein Loch im Bauch?
Die Formulierung hat mich den ganzen Tag verfolgt. Was Löcher im Bauch sind, das wissen Magenband- und Bypass-Patienten. Es sind die Öffnungen, durch welche die Instrumente für die Operation in die Bauchhöhle eingeschoben werden. Früher hat man mit einem grossen Schnitt die Bauchdecke geöffnet, das ist heute nicht mehr oder nur noch in Ausnahmefällen nötig. Die Technik hat sich verfeinert, in jüngster Zeit geht man sogar dazu über, die Operationswerkzeuge durch natürliche Öffnungen in den Körper einzubringen, von unten oder von oben, und zu operieren, ohne in der Haut sichtbare Narben zu hinterlassen.
Löcher im Bauch können auch noch eine andere Bedeutung haben. Der Volksmund sagt ja zu einem wissbegierigen Kind: Was fragst du mir Löcher in den Bauch? Oder auch umgekehrt: Jemandem ein Loch in den Bauch reden. Das wäre dann eine Leere im übertragenen Sinn, wenn von all dem Reden oder Fragen das ganze Bewusstsein zunichte gequatscht würde, so dass sich gähnendes Nichts ausbreitet im Innern.
Aber das eigentliche „Loch“, das auf dem Plakat angesprochen wurde, würde in Wirklichkeit Hunger heissen. Hunger von der bitteren Sorte, von dem man heutzutage nur noch in Büchern liest, den wir in unseren Breitengraden kaum noch wirklich erleben können, der in den Gedärmen und im Magen wüten soll wie ein wildes Tier, so dass man sich in Krämpfen windet… Hunger, der abstumpft, der alles andere vergessen lässt, der zum dominanten Gefühl wird, das den ganzen Körper beherrscht…
Wenn wir nur essen würden, wenn wir wirklich Hunger haben, wäre keiner dick. Aber da die Lebensmittelverkäufer uns geschickt weismachen, wir sollen schon beim leisesten Anflug eines winzigen Gelüstens (der sogenannte kleine Hunger zwischendurch) eine möglichst leckere, fett- und zuckerhaltige Verpflegung zu uns nehmen, weil uns das Loch im Bauch sonst selber verschlingen könnte… weil wir uns daran gut gewöhnt haben und das Snacken schon zur Routine geworden ist, tun wir es, auch wenn wir kein Plakat gesehen haben.
Entschuldigung, aber dass „in unseren Breitengraden“ niemand mehr weiß, was echter Hunger ist, ist Schwachsinn. Fragen Sie mal die ganzen Magersüchtigen, oder, wenn Ihnen das zu zynisch vorkommt, Menschen, die aufgrund einer Krankheit unter starker Appetitlosigkeit oder sogar Ekel leiden und tagelang praktisch nichts essen, bis sie vor Magenschmerzen und Blutzuckerabfall fast ohnmächtig werden. Ich habe das seit Jahren und kann Ihnen sagen, schön ist das nicht. ICH weiß, wie sich ECHTER Hunger anfühlt!