4/3 Der Auftrag
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 23:50 |
Die Dame am Telefon wirkte ungehalten. Ob es stimme, wollte sie wissen, dass unsere Stiftung den öffentlichen Schulen den Auftrag erteilt habe, den Kindern gewisse Lebensmittel zu verbieten. Ich fragte zurück, woher sie das habe. In der Schule sei das gesagt worden und jetzt müsste der Elternbeirat das Problem lösen, aber das sei ja nicht dessen Aufgabe.
Ich erklärte, dass wir als kleine, gemeinnützige Organisation gar nicht über den Einfluss verfügen würden, so etwas zu veranlassen, dass es aber wohl Aufgabe des Staates sei, dafür zu sorgen, dass seine Bevölkerung einigermassen gesund bleibe. Im weiteren Gespräch stellte sich heraus, dass die Tochter der Dame an Magersucht litt, und dass die Mutter es daher als äusserst kontraproduktiv empfunden hatte, als in der Schule gesagt worden war, die Kinder sollten keinen Süssmost mehr trinken, sondern bloss kalorienfreies Wasser.
Da verstand ich, weshalb die Dame sich über das Schulprogramm gegen kindliches Übergewicht ärgerte. Viel schlimmer als die zu dicken Kinder war für sie die Tatsache, dass immer mehr Mädchen auf der andern Seite in Essstörungen verfallen und untergewichtig werden. Kindliches Übergewicht zu verhindern sei keine Aufgabe für die Schule, das sei einzig und allein Sache der Eltern, sagte sie. Ich wies darauf hin, dass – wenn man mal vom Einzelschicksal absieht – rein statistisch um ein Vielfaches mehr Kinder über- als untergewichtig sind und dass die Übergewichtigkeit für die Volksgesundheit ein wesentlich grösseres Problem darstelle.
Wir waren uns schliesslich einig, dass jede Form von Gewichtsproblemen und von Essstörungen für Kinder und Jugendliche und deren Familien eine grosse Belastung sind, dass der Umgang mit diesen Problemen in der Schule viel Feingfefühl und Sorgfalt erfordert, dass falsche Klischees gefährlich sind und schädlich sein können. Dass sodann alle gefordert sind, in ihrem Einflussbereich an einer Lösung mitzuwirken, dass es aber immer noch kein Allheilmittel und kein einfaches Rezept gibt. Altersgerechte Aufklärung und Motivation sind wichtig, aber letztlich kann der Staat dem Individuum nicht die Verantwortung abnehmen für die eigene und die Gesundheit der ihm anvertrauten Jugendlichen. Und dass Veränderungen nicht von heute auf morgen stattfinden können, sondern eine Langzeitaufgabe bleiben.
Wir, als Stiftung, begrüssen jede Akivität in dieser Richtung. Wir fordern sogar gewisse Dinge ein, im Wissen darum, dass die Kräfte des freien Marktes wohl immer stärker sind. Aber wir können keinen Auftrag erteilen. Vielleicht zum Glück.