30/10 BMI-Geschichten
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 23:38 |
Mit Spannung habe ich heute Morgen das auflagenstärkste SonntagsBlatt in die Hand genommen: unter der Woche hatte eine Journalistin alles wissen wollen über die Magenoperationen zur Gewichtsreduktion. Ich hatte ihr geduldig die Zusammenhänge und Hintergründe erklärt, hatte ihr weitere Gesprächspartner und Auskunftspersonen genannt und am Schluss auch meine Zitate autorisiert… und nun war die Spannung natürlich gross, was denn effektiv im Blatt stehen würde.
Der Bericht war sehr korrekt und informativ abgefasst und ich fand es bemerkenswert, dass sich ein Boulevardblatt die Mühe nimmt bzw. gibt, ein so ernsthaftes Thema aus dem Gesundheitswesen seriös aufzuarbeiten. – Für einen unschönen Kontrapunkt sorgte allerdings der liebe stellvertretende Herr Chefredaktor. In seinem Editorial nahm er die Thematik auf und mokierte sich darüber, dass auf der Webseite von Gesundheitsförderung Schweiz ein BMI-Rechner ihm beim Wert von 25,6 den Befund „leichtes bis mittleres Übergewicht“ attestiert hatte und vor möglichen gesundheitlichen Gefahren warnte…
Dass diese Formulierung die ganze Spanne von BMI 26 bis 30 abdeckte, also bis hin zur ausgeprägten Adipositas, verschwieg er tunlich… und stellte aufgrund seiner eigenen (mutwilligen?) Fehlinterpretation die ganzen Aktivitäten von Gesundhetsförderung Schweiz in Frage. Es sei, schrieb er, durch „etliche Studien die faule BMI-Formel längst als Schabernack entlarvt“. Das stimmt natürlich so auch nicht. Die BMI-Formel kann dort ungenau sein, wo – z.B. beim Body Builder – Muskelmasse im Übermass antrainiert wurde… aber das ist nicht das Gros der Bevölkerung. Klar gibt die Messung des Bauchumfangs auch einen Indiktor über dei gesundheitlichen Risiken, aber für die weltweiten Statistiken und Vergleiche ist die BMI-Skala der Weltgesundheitsorganisation bis jetzt noch immer die Standard-Masseinheit. Auch einem Boulevard-Journalisten-Hirn müsste eigentlich einleuchten, dass solche Werte in der Praxis mit dem gesunden Menschenverstand zu interpretieren sind.
Der Bericht selber ist sauber recherchiert. Er zeigt die Probleme auf, die sich momentan ergeben aus der Tatsache, dass die gelockerten Bedingungen für die Kostengutsprache der Krankenkasse zu einem (nicht in diesem Ausmass erwarteten) Ansteig der Operationszahlen geführt haben, und damit zu Engpässen in verschiedenen Kliniken. Dass diese Thematik zur Sprache kommt, ist verdienstvoll. – Was mir allerdings zu denken gibt: eingebaut in den Bericht ist eine Online-Leserbefragung. Ist es richtig, dass die Krankenkassen die Magen-Bypass-Operationen bezahlen? – Und wie antwortet der Boulevard-Leser am Sonntag? Genau fifty-fifty! 50% antworten mit JA und 50% mit NEIN. Kommt hier wieder die Verachtung dem fettleibigen Patienten gegenüber zum Ausdruck? Wurde mit diesem Bericht einmal mehr Neid und Missgunst geschürt, die sich von alten Vorurteilen nähren, obwohl wir diese mit der Zeit als überwunden glaubten? Der Kampf muss weitergehen. Mit lächerlichen BMI-Sottisen à la Editorial ist aber niemandem geholfen.