17/3 Abschied in Kleidergrössen
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 23:19 |
Ein Umzug steht bevor. In einem halben Jahr zwar erst, aber er wirft seine Schatten voraus. Und weil in zehn Tagen eine Altkleidersammlung angesagt ist, sei dies die ideale Gelegenheit, sich von all dem Ballast zu trennen, der sich in Kästen und Schubladen während der letzten zwölf Jahre angesammelt hat, meint die tüchtige Hausfrau.
Und so geht es denn durch die Regale und die Schränke, werden Anzug um Anzug, Jacke nach Jacke und Hose nach Hose anprobiert. Bei jedem Kleidungsstück kommen Erinnerungen hoch, wann und wo man es erstanden hat, bei welchen Gelegenheiten es getragen wurde und mit welchen Gefühlen man es bei früheren Aussortierungen jeweils wieder zurückgehängt hat, beseelt von der Hoffnung, man würde wieder einmal in die früheren Grössen hinein passen…
Aber diesmal gibt es kein Pardon. Das neue Domizil wird kleiner sein, wir werden nicht mehr so viel Stauraum haben und was jetzt und heute nicht passt, muss gnadenlos weg, in den Plastiksack mit dem Aufdruck des Hilfswerks, dem der Erös zugute kommt.
Nach zwei Stunden ist es geschafft. Hemden, Unterhosen, T-Shirts… alles, was zwickt und spannt muss weg, es ist wie beim Schlussverkauf. Ich habe gar nicht gewussg, wie reichhaltig meine Garderobe im Grunde war – weil ich die Dinger ja seit Jahren nicht mehr getragen habe, nicht mehr tragen konnte. Emotional auch der Abschied von einigen Militär-Reliquien, die ich mir aufgehoben hatte, nachdem die Pflichtstücke im Zeughaus abgeliefert waren: persönliche Dinge, die der Wehrmann behalten durfte, und die seitdem in Plastic mottensicher eingeschweisst waren. Jetzt mussten sie den Weg in die Rohstoffsammlung antreten, denn wir werden keinen Platz mehr dafür haben.
Und irgendwo hinten scheicht sich ein Gedanke durchs Halbbewusstsein: wie gut geht es uns doch, dass wir in aller Ruhe und aus freien Stücken diese Selektion vornehmen können, wenn man bedenkt, wie es Menschen ergeht, die auf der Flucht sind, die gezwungen werden, innert kürzester Zeit die wichtigsten ihrer Habseligkeiten zusammen zu klauben und sich auf den Weg zu machen ins Ungewisse, beladen mit dem Wenigen, was sie tragen können, und mit der Angst davor, keine Zukunft zu finden.
Daran fehlt es bei uns ja icht. Die Trennung vom Ballast wird zur Befreiung.