24/8 Das dickere Negerlein
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 16:02 |
Es ist aus der Sonntagsschule verschwunden, das nickende Negerlein. Es war aus Pappmaché geformt und kniete demütig auf einem kleinen Kästchen mit Schublade, hielt die Hände zum Dankesgebet gefaltet, hatte meist einen dünnen, langen Hals, auf dem ein rundes, krauslockiges Köpfchen sass. Der Hals steckte in einem weiten Hemd-Ausschnitt und wenn man zwischen den Händen durch einen Batzen in das Kästchen fallen liess, schwang das Köpfchen nickend vor und zurück.
Das nickende Negerlein prägte während Jahren, wenn nicht Jahrzehnten unsere Wahrnehmung des „schwarzen Kontinents“. Die Leute dort waren mausarm und wären froh gewesen, wenn sie das Gemüse bekommen hätten, das wir nicht essen mochten… und jahrelang haben wir Stanniolpapier gesammelt „für Afrika“, ohne zu wissen, ob damit irgendwo etwas Sinnvolles angestellt wurde.
Das hat sich inzwischen gründlich geändert. Zwar beherrschen nach wie vor Schlagzeilen von Stammeskämpfen, Bürgerkriegen, Dürrekatastrophen und so die Medien und Bilder des Schreckens prägen sich uns ein. Hilfswerke bitten nach wie vor mit traurigen Kindergesichtern um unsere Spenden… aber die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache. Afrikas Völker sind auf dem Weg in die Neuzeit, in die Gegenwart. Sie sind dabei, mit hoher Beschleunigung all die zivilisatorischen Errungenschaften zu erwerben, die uns in der sogenannt „ersten“ Welt das Leben erschweren.
So ist nicht mehr Hunger oder Aids die grosse Bedrohung, sondern neu ist es die Adipositas, an deren Folgen immer mehr Afrikaner erkranken. Fast Food und der urbane Lebensstil haben die Gesellschaftsstrukturen radikal verändert. Einem Bericht der renommierten Fachzeitschrift Lancet zufolge haben Studien in 27 afrikanischen Staaten gezeigt, dass Übergewicht bei Frauen zur hauptsächlichen Lebensbedrohung für Neugeborene geworden ist. Die Anzahl der Babies die in den ersten vier Lebenswochen versterben, ist massiv angestiegen, im gleichen Mass schnellte auch die Zahl der übergewichtigen Mütter in die Höhe. Dies, so sagt eine dänische Forschergruppe, sei eine völlig neue Perspektive der Adipositas-Problematik, die globalen Einfluss nehme auf künftige Bevölkerungsstrukturen, die sich unterscheide von allem, was man aus unseren Breitengraden kennt. Das Negerlein hat ausgenickt.
Das „Negerlein“ hat auch meine Kindheit stark geprägt. Mein Onkel und Götti lebte damals in Bamako, Conakry und Dakar (damals franz. Westafrika). Die Mutter war Sonntagsschullehrerin. Ja, damals – in den 50-er-Jahren waren die schwarzen
Afrikaner/innen noch schlank bis mager. Onkel besuchte und jährlich und konnte die Show mit dem nickenden „Negerlein“ in den Sonntagsschulen nicht begreifen. Als Erstklässler konnte ich meinen Onkel nicht begreifen. Heute hätte ich in meiner Sammlung gerne so eine Sammelbüchse. Wo finde ich noch eine? Nicke, Nicke.