28/2 Der Sturz
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 22:35 |
Es gibt Dinge, die holen dich buchstäblich auf den Boden der Tatsachen zurück. Es war schon später am Abend. Wir hatten in diesem kleinen Thai-Restaurant gespeist und es war angenehm und gut wie immer. Als wir bezahlt hatten und gingen, sahen wir, dass es draussen regnete. Nicht zu stark, aber alles war nass und am Strassenrand stauten sich die Pfützen. Zum Glück hatte ich mein Fahrrad unter das Vordach gestellt, so dass es praktisch trocken geblieben war.
Da ich nicht zu lange im Regen stehen wollte, kletterte ich noch im Trockenen aufs Rad und versuchte in Fahrt zu kommen, um weiter vorne vom Trottoir auf die Strasse zu rollen. Aber das wollte irgendwie nicht gelingen, ich geriet ins Schwanken, wollte mich mit dem rechten Fuss abstützen, geriet dabei über den Trottoir-Rand, wodurch die Strasse zu tief unten lag, als dass ich die Balance hätte halten können, so dass ich mitsamt dem Rad seitlich auf den Asphalt fiel, direkt in eine der Regenpfützen hinein.
Als alter Judoka hatte ich mich reflexartig abgerollt und lag nun da auf dem Rücken mitten auf der schmalen Strasse im Dunkeln… zum Glück galt Tempo 30 und es war kein Fahrzeug in Sicht. Ich wusste, dass ich keine Chance hatte, hier alleine wieder auf die Füsse zu kommen. Ich spürte, wie von hinten die Nässe unter meinen Parka kroch und wie sich die Jeans mit Regenwasser vollsogen. Eine halbe Ewigkeit lag ich so – oder kam es mir nur so vor?
Da löste sich von der anderen Strassenseite ein schmaler Schatten. Ein junger, drahtiger Mann mit dunkler Hautfarbe. Kann ich Ihnen helfen, fragte er, und ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Natürlich „konnte“ er mir helfen… und gleichzeitig war mir klar, dass er es allein nicht schaffen würde, die 170 Kilo wieder in eine aufrechte Position zu bringen. Inzwischen hatte ich mich aufgesetzt. Das Regenwasser kam weiterhin von unten und von oben.
Es gab nur einen Weg: ich musste es irgendwie schaffen, auf meine Knie zu kommen, dann konnte ich mich hochziehen… aber woran? Weit und breit war nichts da, das solid genug gewesen wäre, dass ich mich hätte darauf abstützen können. Dazu kam, dass ich nicht in der Lage war, mein Gewicht einfach so auf die Knie zu stellen: zu gross waren die Schmerzen, seit ich im rechten Gelenk eine Prothese hatte, deren Stahlrand meine Kniescheibe unbarmherzig gegen den Strassenbelag quetschte.
Jetzt erschien auch die Wirtin aus dem Lokal. Ich fragte sie, ob sie eine Decke oder ein Kissen entbehren könnte und bald kam sie wieder mit einem Polsterteil, auf das ich mich bäuchlings wälzen konnte… dann vorsichtig mit den Knien auf die weiche Unterlage, links und rechts je eine helfende Hand, das eine Bein aufgestützt und mit vereinten Kräften ging es ruck-zuck doch in die Höhe, aus dem nassen Tümpel in die kalte Nachtluft.
Der junge Mann hatte sein Auto neben mir geparkt und bot an, mich nach Hause zu fahren, die Wirtin würde bis am andern Tag das Fahrrad hüten… aber das war zum Glück nicht nötig, verletzt hatte ich mich – bis auf eine kleine Schürfung vom Pedal unterhalb des Knies – nicht. So stieg ich diesmal mit der nötigen Vorsicht in den Sattel und radelte nach Hause, wo ich ohne weiteren Zwischenfall und wohlbehalten anlangte.
Ich bin noch nicht dazu gekommen, ein Inventar all jener Gedanken zu machen, die mir gestern auf der nassen Strasse durch den Kopf gingen. Vielleicht ist es auch besser so.