8/1 Der Joghurt-Krampf
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 17:03 |
Unbestreitbar: Joghurt ist ein gesundes Nahrungsmittel. Das Produkt hat mich seit früher Kindheit begleitet. Ich erinnere mich an zylindrischen Gläser in der Migros der frühen 50er-Jahre, mit dem grün bedruckten Karton-Deckel, in dessen Mitte ein halbmondförmiger Schlitz ausgestanzt war, von unten zugeklebt mit Papier, so dass man zum Öffnen mit dem Messer das Papier durchstechen und den Deckel abheben konnte. Wir kauften immer nur Nature.
Später beschaffte Mutter eine Joghurt-Maschine. Das war ein blecherner Behälter, den man zur Hälfte mit Wasser füllte. In einer Pfanne musste die Milch auf genau 62 Grad erhitzt werden, dann kam sie in ein grosses Jena-Glas mit einem Deckel aus Aluminium. An diesem Deckel befand sich ein nach unten gerichteter Haken, an dem wiederum die „Joghurt-Wabe“ hing, ein poröses Gebilde, in dem sich offenbar die Joghurt-Bakterien aufhielten.
Verschloss man das Glas mit dem Deckel, so tauchte die Wabe in die warme Milch ein. Das Glas kam in den Behälter mit Wasser, dieser wurde verschlossen und mit einem gefütterten, bunt bedruckten Überzug bedeckt. Alles zusammen musste nun über Nacht stehen gelassen werden. Am andern Morgen war ein Liter Joghurt verzehrbereit.
Später explodierte die Gattung der Milchspeisen zu einer unüberschaubaren Vielfalt von Produkten in immer neuen Aromen und mit immer neuen angeblich gesundheitsförderlichen Zusätzen, mit mal mehr und mal weniger Fett (von 0 bis 10%), mit und ohne Zucker, nach griechischem oder türkischem Rezept… aber generell mit viel zu viel Zucker in den „Frucht-Joghurts“.
Seit bald zwei Jahren machen wir unseren Joghurt wieder selber, nach der Betty-Bossi-Methode: ein Becher Nature-Joghurt wird in einen Liter kalte Milch eingerührt und mit dem Besen gut verschwungen. Diese Milch wird dann in sieben kleine Gläser eingefüllt, die Gläser werden auf einem beheizbaren Untersatz gestellt, der mit einem Deckel verschlossen wird. Nach rund 10 Stunden bei geringer Temperatur kommen Schraubverschlüsse auf die Gläser und diese in den Kühlschrank – fertig. Da hat es garantiert keinen Zucker drin, keine Zusätze irgendwelcher Art, der Joghurt schmeckt erfrischend und bekömmlich.
Die Milchindustrie versucht jedoch, gesäuerte Molkereiprodukte mit immer neuen Heilsversprechungen bezüglich deren Wirkung unters Volk zu bringen. Im letzten Jahr musste die Europäische Zulassungsbehörde für Lebensmittel-Claims, die EFSA, nicht weniger als 168 Studien und Eingaben prüfen, die belegen sollten, dass bestimmte fettfreie Joghurt-Sorten zu einem Gewichtsverlust führten, wenn sie im Rahmen einer kalorienreduzierten Diät gegessen würden…
Aber keine der Studien vermochte zu überzeugen, die Werbebotschaften wurden nicht bewilligt. Ist mir auch recht, ich könnte sie auf meinen Gläsern ohnehin nicht anbringen.