12/6 Todsünde Apfel
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 17:13 |
Darf man das? Darf man die Zeitung, unter deren Dach auch dieser Blog angesiedelt ist, kriktisieren? Man darf nicht nur, man muss es sogar können. Im Dienste eines offenen, fairen Dialogs, wenn es ein Artikel so offenkundig an Sachbezogenheit vermissen läst.
Aber der Reihe nach: vor einigen Jahren hat die EU eine Aktion lanciert, mit der die Mitgliedstaaten ermutigt wurden, ihrer Jugend in den Schulen gratis Obst abzugeben, um so der drohenden Übergewichts-Epidemie auf einfache und effiziente Weise entgegen zu wirken. Ein Budget wurde bereit gestellt und jedes Land, das eine solche Aktion in eigener Verantwortung durchführen wollte, konnte sich bis zur Hälfte seiner Auslagen vergüten lassen. Ich habe auch an dieser Stelle darüber berichtet.
Eine Gruppe von Gesundheits-Fachleuten verschiedener Organisationen (der ich auch angehöre) fanden die Idee nachahmenswert und konsultierten die zuständigen Instanzen und Behörden, vom Bundesamt für Gesundheit bis zum Verband der Obstproduzenten. Sie stiessen überall auf Interesse, denn obwohl die aktuelle Gesetzeslage solche Aktionen erlaubt und sie in einzelnen Kantonen bzw. Gemeinden bereits mit Erfolg umgesetzt werden, handelt es sich doch erst um punktuelle, vereinzhelte Angebote, weil eine Koordination und übergeordnete Anreize fehlen. Schliesslich gelang es, Nationalrat Christian Lohr zu gewinnen, eine entsprechende Motion einzureichen. Im Nationalrat stiess sie auf ein positives Echo, obwohl der Bundesrat bezüglich der Finanzierung Vorbehalte anmeldete.
Dann kam die vorberatende Kommission des Ständerates und schmetterte die Vorlage einstimmig ab, mit der Begründung, dass die Rechtsgrundlagen bereits vorhanden seien, so dass jeder Kanton in eigener Verantwortung solche Aktionen durchführen könnte und es keines weiteren Impulses „von oben“ bedürfe. Damit war das Thema „gestorben“ und angesichts des einstimmigen Entscheids der Kommission liess sich auch kein Ständerat mehr finden, der einen Rückkommensantrag gestellt hätte. Gut zwei Jahre Vorbereitungsarbeit im Interesse der Volksgesundheit waren liquidiert.
Schliesslich folgte vor wenigen Tagen dann ein Artikel in der NZZ: „Frucht der Verführung“ hiess der Titel und sein Verfasser tat so, als wäre die Existenz der Schweiz durch den nationalrätlichen Schulobst-Vorstoss in ihren Grundfesrten erschüttert worden und in letzter Sekunde durch den mutigen Entscheid der ständerätlichen Kommission vor dem Sturz in den Orkus diktatorischer Willkür eines zentralistischen Terror-Regimes bewahrt worden. Nationalrat Lohr wurde als profilierungssüchtiger Provinzler diffamiert, der die demokratischen Gebräuche noch nicht kennt und von dessen Wiederwahl die Stimmbürger tunlichst absehen sollten…(!) – So wurde der „eidgenössische Pausenapfel“ umfunktioniert zu einem Gesslerhut, der den Fortbestand des helvetischen Föderalismus‘ in seiner Existenz bedroht, weil er ungebührlich in die Hoheit der Kantone und der Kommunen eingreift…
Frage eines jener „Sünder“, die es gewagt haben, um die gesunde Ernährung unserer Jugend besorgt zu sein: GEHT ES NOCH? Was soll dieser vorauseilende Kotau vor einem rechtspopulistischen Gedankengut, das seine Erfüllung in der Verhöhnung der staatlichen Verantwortung für das Wohlergehen der Bevölkerung sieht? Und weshalb gibt es denn noch kein schweizweites Früchte-Angebot, wenn es doch angeblich in seinem Nutzen unbestritten und „heute schon realisierbar“ sein soll? Eben, weil ein „nationaler“ Impuls, ein Anreiz gefehlt hat. Alles andere würde auf freiwilliger Basis geschehen, im eigenen Ermessen der Kantone.
Die Schweiz geht nicht unter, trotz solcher unbedarfter journalistischer Ausrutscher. Zum Glück.