13/7 Vom richtigen Schroten
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 14:50 |
Am Anfang war die Verstopfung. Als Folge meiner Ernährungs-Umstellung und des Verzichts auf Kohlenhydrate. Um diesem Phänomen vorzubeugen, hatte mir der Arzt ein Abführmittel von Dr. Vogel empfohlen. Das aber erwies sich insofern als Ärgernis, als die ohnehin kleine Dose jeweils nur knapp zur Hälfte gefüllt war, aber den vollen Preis von knapp 10 Franken kostete. Und bestehen tat das Mittel im wesentlichen aus Leinsamen, die in einen schokofarbenen Überzug mit Vanillegeschmack gekleidet waren… Nach der dritten Packung entschloss ich mich, zum Original überzugehen und die Leinsamen gerade „pur“ zu verspeisen.
Das ging so lange gut, bis ich in einem Apotheker-Heftchen einen Bericht über die sagenhaften Inhaltsstoffe der Leinsamen las. Als Kind hatte ich Leinsamen gehasst. Sie waren das Allzweckheilmittel meiner Mutter. Wann und wo immer wir ein Wehweh hatten, pflegte sie ein Leinsamen-Mus zu kochen, das sie in selbstgenähte Säcklein füllte, die man dann heiss auf die schmerzende Stelle legte und die so penetrant rochen, dass man sie möglichst rasch wieder los sein wollte…
Nun aber beschrieb man mir diese kleinen Kerne-Kerlchen als wahre Wunderknaben bezüglich gesundheitsförderlicher Eigenschaften, die jedoch erst wirklich zur vollen Entfaltung kämen, wenn die Sämchen „aufgebrochen“ würden, das heisst: zerkleinert oder geschrotet. Aber Achtung, hiess es: geschrotete Leinsamen werden wegen des hohen Fettgehaltes rasch ranzig! Es empfiehlt sich daher, nur gerade die jeweilige Portion kurz vor dem Verzehr frisch zu schroten… Dazu aber braucht es eine entsprechende Vorrichtung.
Google weiss Rat: man könnte den Mixer nehmen, oder eine kleine Kaffeemühle, zur Not bietet sich aber auch eine alte Pfeffermühle an. So eine hatte ich herumstehen, aber das Unterfangen erwies sich als sehr monoton und kräfteraubend. Bei jeder Umdrehung aus dem Handgelenk wurden maximal zwei bis drei Kernchen zerquetscht und es dauerte gut fünf Minuten, bis ein Kaffeelöffelchen Leinsamenpulver geschrotet war, ganz abgesehen vom Muskelkrampf im rechten Unterarm.
Also holte ich mir im Reformhaus fachkundigen Rat. Dort fragte die resolute Dame barsch zurück, ob ich keine alte Kaffeemühle hätte? Als ich verneinte, meinte sie, dann müsste ich die Samen halt schon geschrotet kaufen, sie hätten welche. Aber die würden doch so schnell ranzig, warf ich ein. Sie müssen sie eben im Kühlschrank aufbewahren, belehrte mich die Reformdame in einem Tonfall, in dem ihre ganze reformhäuslerische Überheblichkeit mitschwang.
Schon als ich den Laden betrat, war mir ein grosses Plakat neben der Kasse aufgefallen. „Probieren Sie unseren Durstlöscher!“ hiess es da in selbstgefertigter Schnörkelschrift. Auf einem Tischlein darunter stand eine fast volle Flasche Süssmost, daneben einige Becherchen aus Plexiglas… – Jetzt konnte ich es der Reformtante heimzahlen: Darf ich Ihnen auch noch etwas sagen? fragte ich höflich. Und: Sie wissen schon, dass Süssmost NICHT als Durstlöscher genutzt werden soll, von wegen Zucker, Kalorien und so..? – Aber sie konterte unbeeindruckt: Die Leute kosten ja nur einen kleinen Schluck!! – Trotzdem, sagte ich, falsch ist die Bezeichnung von Apfelsaft als Durstlöscher auf jeden Fall, wenn Ihnen an der Gesundheit ihrer Kundschaft gelegen ist.
Was sie darauf noch gebrummelt hat, habe ich nicht verstanden, ich war schon unter der Tür mit meinem Päckchen geschroteter Leinsamen. Aber so bald gehe ich da wohl nicht mehr hin.