29/11 Wachstums-Kontroverse
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 19:33 |
Es war eine anregende Veranstaltung. Zum achten Mal lud „actionsanté“ zum jährlichen Informations-Anlass. Das ist eine Plattform, die vom Bundesamt für Gesundheit ins Leben gerufen wurde und heute auch vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen mitgetragen wird. Hier können Unternehmen einen freiwilligen Beitrag an eine gesunde Lebensführung leisten (und sich dafür qasi mit einem Gütesiegel schmücken), indem sie sich verpflichten, ihre Produkte „gesundheitsförderlich“ zu gestalten, z.B. mit weniger Salz im Brot und mit weniger Zucker in Joghurts und im Frühstücksmüesli.
Neben vielen Informationen zur aktuellen Planung künftiger Gesundheits-Strategien gab es vor allem in zwei Referaten pointierte Aussagen, die kontroverser nicht sein könnten. Leider fand das eine Referat am Anfang und das andere am Schluss der Veranstaltung statt, so dass keine Gelegenheit mehr bestand, die gegenläufigen Thesen im Gespräch vertiefend zu verifizieren.
Zur Einleitung sprach Professor Ilona Kickbusch, die Grande Dame von Public Health und Gesundheits-Prävention mit internationalem Renommee. Sie legte dar, dass „mehr Wirtschaftswachstum“ nicht automatisch zu „mehr Gesundheit“ führen muss, dass (allzuviel) Wachstum im Gegenteil auch Risiken für die Gesundheit birgt, indem in einem Wachstumsmarkt auch Gesundheit zu einem Konsumgut wird, das den Gesetzen des Marktes unterliegt. Dabei spielt in unserer Zeit vor allem die Digitalisierung eine zentrale Rolle. Und trotz aller Bestrebungen um Aufklärung und Information verfügen – laut Umfragen – lediglich 10 Prozent der CH-Bevölkerung über eine „sehr gute Gesundheitskompetenz“.
Am Ende der Veranstaltung sprach Dr. Fridolin Marty vom Wirtschaftsverband economiesuisse. Er vertrat eine diametral entgegengesetzte Position: Wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand sind geradezu eine Voraussetzung und ein Garant für Gesundheit und Wohlergehen. Dabei setzte er gesundheitsrelevante Werte verschiedener Länder (wie verfrühte Todesfälle, Kindersterblichkeit, Armutsgrenze) in Relation zur jeweiligen Wirtschaftsmacht, um nachzuweisen, dass es armen Ländern früher gesundheitlich viel schlechter ging und erst das Wachstum der Volkswirtschaft eine Verbesserung des Lebensstandards und damit der Volksgesundheit mit sich brachte.
Diese Zahlen mögen durchaus stimmen, aber sie blenden – vor allem vor dem Hintergrund einer historischen Entwicklung – die Tatsache aus, dass sich das gesundheitliche Wohlergehen nicht nur an der Statistik der vorzeitigen Todesfälle und an der Zunahme des Lebensalters messen lässt, sondern dass gerade die Verlängerung der Lebensdauer dazu geführt hat, dass hierzulande jeder zehnte Mensch an einer nicht-übertragbaren, chronischen Krankheit (NCD) leidet, die in sehr vielen Fällen als „wohlstandsbedingte“ Zivilisations-Krankheit bezeichnet werden kann bzw. muss.
Übergewicht und Adipositas spielen dabei eine zentrale, ursächliche Rolle, obschon sie – wie leider auch auf Stufe WHO – in der offiziellen NCD-Strategie nicht als chronische Krankheit benannt sind. Aber das ist eine andere Geschichte…