30/12 Schwindel-Etiketten
Kategorie: Allgemein Von Heinrich von Grünigen um 16:58 |
Die Frage hat mich schon länger beschäftigt. Warum in aller Welt müsssen Lebensmittel, die aus sogenanntem Ersatzfleisch bestehen, von Tofu bis Quorn und wie die Rohstoffe alle heissen, unbedingt in den vertrauten Metzgerei-Formaten daherkommen: als Steak, als Schnitzel, als Fleischvogel oder Cervelat, als Cordon-Bleu oder Lyoner-Aufschnitt, als Curry-Wurst oder als Tatar, mit der empfehlenden Beschreibung „schmeckt wie Fleisch“?!
Jetzt, kurz vor Jahresende, finde ich einen Gleichgesinnten. Den deutschen Landwirtschaftsminister. Er hält die Benennung von vegetarischen oder gar veganen Produkten mit Fleischerei-Namen schlicht als Irreführung (um kein deftigeres Wort zu verwenden) der KonsumentInnen und will mit einem entsprechenden Gesetz, das diese Bezeichnungen verbietet, Remedur schaffen.
Ich habe Verständnis für seinen Vorstoss, aber ich weiss nicht so recht, was er bewirken soll. Wer aus tiefer ethischer Überzeugung Veganismus oder zumindest konsequenten Fleischverzicht praktiziert, der geht sicher nicht davon aus, dass in einem Produkt, das als Tofu-Schnitzel beschriftet ist, auch Fleisch drin sein könnte, nur weil er „Schnitzel“ primär mit einem dünn geschnittenen Stück aus der Schweinelende oder der Rindshuft assoziiert. Sonst könnte er ja auch Probleme haben mit einer Holzschnitzel-Heizung.
Und wenn ich mir im Tibits eine Portion des überaus köstlichen vegetarischen „Tatars“ auf den Teller schöpfe, weiss ich, dass diese rötliche Masse zwar ähnlich aussieht wie das konventionelle Rindstatar in meinem Stammlokal, ja dass es dank raffinierter Würzung sogar ähnlich schmeckt – aber ich weiss genau, dass da keine einzige tierische Faser drin ist! Wer also wäre da getäuscht worden?
Wenn wir nun mal absehen von den „eingefleischten“ Vegetariern (oder müsste man eher sagen: ausgefleischten?) und uns jenen Essern zuwenden, die als waschechte Karnivoren den Fleischgenuss lieben, aber aus Rücksicht auf die Klimaerwärmung und aus Respekt vor der in Massentierhaltung gepferchten Kreatur bewusst ihren Fleischkonsum einschränken möchten, ohne dabei auf den geschmacklichen Genuss ganz verzichten zu müssen, dann kann es durchaus Sinn machen, wenigsten per Name, Form, Textur und Geschmack noch an die vertrauten Speisen erinnert zu werden.
Zeitgleich ist mir aufgefallen, dass verschiedene Medien etwas verklausuliert darüber berichteten, dass sich der deutsche SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel vor den Festtagen einer „Operation am Magen“ unterziehen musste, dabei sei der Magen „verkleinert“ worden, um im Rahmen einer Diabetes-Therapie seinen Insulin-Haushalt zu stabilisieren…
Mit keinem Wort wird dabei die OP als das bezeichnet, was sie ist: ein bariatrischer Eingriff zur Gewichtsreduktion, Schlauchmagen oder Bypass, um dadurch auch der Begleiterkrankung Diabetes entgegenzuwirken, einer der häufigsten Folgekrankheiten von Adipositas, die als Befund auch nicht explizit angesprochen wird, obwohl sich gerade an den zahlreichen höhnischen Spöttereien über die Leibesfülle von „Sigi“ die nach wie vor diskriminierende Ausgrenzung von Adipositas-Betroffenen manifestiert.
Hier geht es um weit mehr als bloss um eine Umbenennung der Etiketten per Dekret.